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Oelspur

Titel: Oelspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Erler
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Mittel sind praktisch unbegrenzt. Ihre Auftraggeber sind die Ölkonzerne und die großen Reedereien dieser Welt. Die Firma kümmert sich nicht um kleinliche Konkurrenz oder unterschiedliche Interessenlagen. Sie vertritt die gesamte Branche. Auf dem Papier ist IMSS eine Anwaltsfirma, die sich auf internationales Seerecht spezialisiert hat. Auf Schadensrecht, um genau zu sein. Wenn wieder mal ein untergehender Öltanker einen Küstenabschnitt versaut, muss schließlich jemand da sein, der den Schaden für die Umwelt herunterrechnet und außergerichtliche Vergleiche anbietet.
    Aber das ist nur ein kleiner Teil der Aktivitäten. Der Schwerpunkt liegt auf PR-Arbeit und Lobbyismus. Oder sollte ich besser sagen: auf Desinformation der Öffentlichkeit, Bestechung und politischer Einflussnahme?
    Ist Ihnen schon mal aufgefallen, welche Art von Narrenfreiheit auf den Weltmeeren herrscht? Was außerhalb der jeweiligen Hoheitsgewässer alles erlaubt ist? Und wie wenig davon in der Öffentlichkeit wirklich zur Kenntnis genommen wird, obwohl alle Fakten frei zugänglich sind?
    Gigantische Öleinleitungen in die Meere, schrottreife Tankerflotten, jämmerliche Sicherheitsbestimmungen, Billigflaggen und die Aushebelung aller Sozialgesetze der westlichen Welt – so etwas gibt’s weder in der Luft noch an Land, sondern nur auf hoher See. Und außer Greenpeace und ein paar anderen Umweltschützern regt sich niemand groß darüber auf.
    IMSS sorgt dafür, dass das so bleibt.
    Die Firma war auch hilfreich, als nach dem Untergang der Exxon Valdez die Amerikaner für die Ölverseuchung von halb Alaska eine riesige Schadenssumme forderten. Zwar konnten sie nicht verhindern, dass die USA nach der Havarie ihre Hoheitsgebiete für Einhüllentanker dichtmachten, aber immerhin gelang es ihren Lobbyisten in der International Maritime Organization, die gesetzliche Einführung von Doppelhüllentankern in der EU bis zum Jahr 2015 hinauszuschieben.
    IMSS bezahlt auf zahlreichen Umwegen ein Heer von Journalisten und Medienvertretern auf der ganzen Welt für positive Berichterstattung zu den Themen Ölindustrie, Tankerflotten und Umweltzerstörung und versucht, negative Publicity gezielt zu unterdrücken.
    Ähnlich wie die Tabakindustrie, die nachweislich jahrzehntelang wissenschaftliche Untersuchungen förderte, die die Gefahren des Rauchens relativierten, sponsert IMSS im globalen Maßstab wissenschaftliche Studien, die ihren Zwecken dienen. Da gibt es dann Untersuchungen zu den Selbstheilungskräften der Ozeane, die belegen sollen, dass die Weltmeere noch jede Menge mehr Öl vertragen. Oder Studien, die angeblich beweisen, dass die sorgfältige Demontage der Öltankplattform Brent Spar ökologisch mehr Schaden angerichtet hat, als wenn man sie im Meer versenkt hätte, wie es der Shell-Konzern eigentlich vorhatte.
    Ich habe eine Liste von mehr als zweihundert renommierten Wissenschaftlern, deren Forschungsprojekte in den Bereichen Ozeanografie, Meeresbiologie und Schiffstechnologie von der internationalen Ölindustrie direkt finanziert wurden.
    Und ich kann beweisen, dass zumindest in zwei Fällen an korrupte Mitarbeiter von Klassifizierungsfirmen große Geldsummen gezahlt wurden, um Hochsee-Zertifikate zu erlangen, die nie hätten ausgestellt werden dürfen.
    In einem dieser Fälle ist mein Informant, ein Schweizer Bankangestellter, getötet worden, und auch ich fühle mich nicht mehr sicher.
     
    Hier brach der Text ab.
    Wir saßen reglos da und starrten auf den Bildschirm. Anna weinte, und das Gesicht meiner Mutter hatte einen stur-verbissenen Ausdruck angenommen, den ich nur zu gut kannte.
    »Lass uns den Rest anschauen«, sagte sie.
    »Es dauert Tage, das ganze Material zu sichten. Wir haben keine Zeit dafür.«
    Ich nahm die CD heraus und schaltete den Computer aus.
    »Glaubt ihr, dass das stimmt?«, fragte Anna. »Ich meine, dass es wirklich eine Firma gibt, die Leute töten lässt, nur damit andere in der Öffentlichkeit gut dastehen? Die ganzen Schweinereien stehen doch tagtäglich in der Zeitung, und das schadet dem Profit auch nicht.«
    »Ja«, sagte Ruth nachdenklich, »aber was auf dieser CD drauf ist, sollte offensichtlich nicht in der Zeitung stehen.«
    Ich saß einfach nur da und glotzte auf den Computer. Vor einer Stunde hatten wir aufgeben wollen. Und jetzt? Mit wem hatten wir es hier zu tun? Was hatte Helen geschrieben? »Ich hatte keinen Begriff von der unvorstellbaren Macht dieser Leute.« Mein rechtes Augenlid hatte angefangen

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