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Oelspur

Titel: Oelspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Erler
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Briefkasten«, sagte Ruth, »ich will das Ding aus dem Haus haben.«
    Als die Haustür hinter ihr ins Schloss fiel, schreckte Gunnar aus seinem Sessel hoch. Er war traurig und verwirrt.
    »Dauernd hat sie was vor«, sagte er.
    Anna ging zu ihm und streichelte seinen Kopf.
    »Frauen sind so«, sagte sie und dann, zu mir gewandt, »wir müssen hier weg.«
    Ich nickte. »Nur noch ein Anruf.«
    Ich wählte eine Nummer im Max-Planck-Institut in München. Max Althaus war der einzige Mensch im Institut, den ich um einen Gefallen bitten konnte, und ich war sicher, dass er schon dort war. Er war sofort am Apparat. Seine fröhlich dröhnende Bajuwarenstimme hätte den Weg nach Schweden vielleicht auch ohne Telefon geschafft, aber als er hörte, was ich von ihm wollte, wurde er sehr leise.
    »Das kann ich nicht machen«, sagte er, »und das weißt du auch!«
    »Doch, doch, Herr Professor, das kannst du schon. Du hast einen Schlüssel, und du weißt, wo es steht. Und du schickst die Sachen per Eilpost an folgende Adresse.«
    Ich gab ihm Helens Anschrift in Hamburg und hörte ihn obszön fluchen, während er offenbar mitschrieb. Er wusste, dass er keine Wahl hatte, als ich seinen akademischen Titel ins Spiel brachte. Ich hatte seine Habilitationsschrift verfasst.
    »Sind wir dann quitt?«
    »Ja! Und ich spendiere dir noch ein Weißbier, wenn ich wieder in München bin.«
    »Wo verdammt steckst du?«
    »Spielt keine Rolle. Mach’s gut und danke!«
    »Wozu hat man Freunde?«, sagte er böse und legte auf.
    Anna hatte mitgehört und warf mir einen fragenden Blick zu.
    »Was war das jetzt?«
    »Kleiner Freundschaftsdienst.«
    »Klang eher wie Erpressung.«
    »Der kriegt sich schon wieder ein.«
    Anna zuckte mit den Achseln und stellte keine weiteren Fragen.
    Als Ruth zurückkam, ging alles sehr schnell. Trotz unserer Proteste packte sie uns eine Tasche mit Proviant. Dann suchte sie die Papiere von Gunnars Volvo heraus und reichte mir schließlich einen flachen, nicht sehr großen, aber schweren Koffer.
    »Kommt gar nicht in Frage«, sagte ich.
    »Warum nicht? Du willst dich doch wehren.«
    »Aber nicht damit!«
    »Was ist da drin?«, fragte Anna.
    Ruth öffnete den Koffer, und Anna stieß einen anerkennenden Pfiff aus. Es war Gunnars altes Jagdgewehr. Eine doppelläufige Schrotflinte samt einer Schachtel Patronen. Österreichisches Fabrikat, akkurat in drei Teile zerlegt und sorgfältig gepflegt. All die Jahre, während er in München gearbeitet hatte, war mein Vater im Herbst mit Freunden in Nordschweden auf die Jagd gegangen, bis er es eines Tages einfach vergaß.
    »Ich habe nicht vor, auf jemanden zu schießen«, sagte ich, »und wenn ich mit dem Gewehr erwischt werde, bin ich geliefert.«
    »Ach was«, sagte Ruth, »du bist ganz legal mit dem Auto deines Vaters unterwegs, und in diesem Auto befindet sich sein Gewehr, für das er immer noch einen gültigen deutschen Waffenschein hat. Die Wahrscheinlichkeit, bei der Einreise nach Deutschland überhaupt kontrolliert zu werden, ist gering, und zur Not kannst du immer noch sagen, du hättest dir auf die Schnelle Gunnars Wagen geliehen und von dem Gewehr darin gar nichts gemerkt. Ist höchstens eine Ordnungswidrigkeit.«
    Anna warf meiner Mutter einen respektvollen Blick zu und grinste.
    »Wir nehmen das Ding mit«, sagte sie dann, schnappte sich den Waffenkoffer und verstaute ihn unter unseren Sachen im Kofferraum des Volvo. Ruth hatte angefangen zu weinen.
    »Wenn du das nächste Mal kommst«, sagte Gunnar beim Abschied zu mir, »bring doch die andere Frau wieder mit. Die fand ich noch besser.«
    »Wir werden daran denken«, sagte Anna und küsste ihn herzhaft auf die Stirn. Daraufhin brachen wir auf.

Fünfundzwanzig
    D
    er Himmel war aufgeklart, und das Einheitsgrau der letzten Tage hatte einer brillant hellen skandinavischen Frühlingssonne Platz gemacht. Wir fuhren zunächst Richtung Ljungby und danach auf die Autobahn nach Süden. Es machte mir Spaß, Gunnars Volvo zu fahren. Es war die Automarke, mit der ich aufgewachsen war und der Gunnar auch in Bayern unverbrüchlich die Treue gehalten hatte. Nichts gegen BMW, aber das satte Panzerschrankgeräusch einer zuschlagenden Volvotür gehörte zum Soundtrack meiner Kindheit.
    »Du hättest mich die Kopie machen lassen sollen«, sagte ich nach einer Weile, »das war ein Fehler. Warum hattest du es so verdammt eilig?«
    »Ich musste auf einmal daran denken, was Elena Bakarova in Ventspils zu uns gesagt hat.«
    »Was meinst

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