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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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zunicken.
Und in dem Gesicht entstand so etwas wie ein Ausdruck. Das war nicht
nur eine Maschine. Das Ding hatte ein Bewusstsein. Und es wollte
etwas von mir. Es war mir unheimlich«, fügte er hinzu.
    Scorpio trommelte mit den Fingerspitzen auf die Stuhllehne.
»Ich kann Ihnen eines sagen. Was Sie gesehen haben, war eine
Manifestation Klasse drei. Als Klasse eins bezeichnen wir eine
örtlich begrenzte Veränderung in der Atmosphäre des
Schiffes: einen unerklärlichen Luftzug oder einen
Temperatursturz. Dergleichen kommt am häufigsten vor und wird
fast täglich gemeldet. Wahrscheinlich hat nur ein Bruchteil
solcher Vorfälle tatsächlich mit dem Captain zu
tun.«
    »So was haben wir alle schon erlebt«, sagte Palfrey.
    »Klasse zwei ist etwas seltener. Darunter fallen
Geräusche, die als Sprache zu erkennen sind, ein Wort, ein
Satzfetzen, vielleicht sogar eine zusammenhängende Aussage. Auch
hier ist die Unsicherheit ziemlich groß. Wenn man Angst hat und
der Wind heult, bildet man sich leicht ein, Stimmen zu
hören.«
    »So war es aber nicht.«
    »Nein, natürlich nicht. Und damit kommen wir zu den
Manifestationen der Klasse drei: körperliche Präsenzen von
mehr oder weniger langer Dauer, entstanden durch eine lokal begrenzte
physikalische Veränderung des Schiffsmaterials – etwa ein
Gesicht in einer Wand – oder durch Zuhilfenahme eines oder
mehrerer verfügbarer Gegenstände. Was Sie gesehen haben,
war eindeutig Letzteres.«
    »Das beruhigt mich.«
    »Hoffentlich. Ich kann Ihnen weiterhin sagen, dass trotz
anders lautender Gerüchte durch eine Manifestation noch
niemandem Schaden zugefügt wurde. Und nur sehr wenige
Beschäftigte sind öfter als einmal einer Manifestation der
Klasse drei begegnet.«
    »Trotzdem gehe ich da nicht mehr hinunter.«
    »Das verlange ich auch nicht. Man wird Ihnen eine andere
Aufgabe zuweisen, entweder auf den oberen Decks oder auf dem
Festland.«
    »Je früher ich von diesem Schiff runterkomme, desto
besser.«
    »Gut. Das wäre also klar.« Scorpio wollte
aufstehen, wieder scharrte der Stuhl über den Boden.
    »War das alles?«, fragte Palfrey.
    »Sie haben mir alles gesagt, was ich wissen muss.«
    Palfrey stocherte mit dem Stummel seiner letzten Zigarette im
Aschenbecher herum. »Ich sehe ein Gespenst und werde von einem
der mächtigsten Männer der Kolonie verhört?«
    Scorpio zuckte die Achseln. »Ich war zufällig in der
Nähe und dachte mir, Sie würden sich freuen, wenn ich
Interesse zeige.«
    Der Mann betrachtete ihn kritisch. »Da stimmt doch etwas
nicht?«
    »Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
    »Sie würden doch niemals einen aus der Bilgenmannschaft
persönlich verhören, wenn nicht irgendetwas im Gang
wäre.«
    »Glauben Sie mir, irgendetwas ist immer im Gang.«
    »Aber diesmal geht es um mehr.« Palfrey lächelte,
so wie die Leute immer lächelten, wenn sie glaubten, ein
Geheimnis erraten oder einen wunden Punkt entdeckt zu haben.
»Ich halte meine Ohren offen. Ich höre auch von den anderen
Manifestationen, nicht nur von denen in meiner Schicht.«
    »Und was schließen Sie daraus?«
    »Sie werden häufiger. Nicht in den letzten Tagen, aber
im Lauf der letzten Wochen oder Monate. Ich wusste, dass es nur eine
Frage der Zeit war, bis ich selbst eine zu sehen
bekäme.«
    »Interessante Analyse.«
    »Ich sehe das so«, sagte Palfrey. »Es ist, als ob
er – der Captain – unruhig würde. Aber was verstehe
ich schon davon, ich bin doch nur ein einfacher
Bilgentechniker.«
    »Richtig«, sagte Scorpio.
    »Aber Sie wissen, dass etwas vorgeht. Sonst würden Sie
sich nicht persönlich mit jeder einzelnen Erscheinung
beschäftigen. Ich wette, Sie verhören heutzutage jeden. Er
hat Ihnen gehörig Angst eingejagt, wie?«
    »Der Captain ist auf unserer Seite.«
    »Das hoffen Sie.« Palfrey kicherte triumphierend.
    »Das hoffen wir alle. Der Captain ist unsere einzige
Möglichkeit, diesen Planeten zu verlassen, es sei denn, Sie
hätten einen anderen Vorschlag.«
    »Das klingt ja so, als hätten wir es eilig, von hier
wegzukommen?«
    Scorpio wollte ihm schon zustimmen, nur um ihn unsicher zu machen.
Palfrey war ihm nicht sonderlich sympathisch. Aber Palfrey würde
es weitererzählen, und Scorpio hatte schon mit der Khouri-Krise
alle Hände voll zu tun, eine Panikwelle wäre wahrhaftig das
Letzte, was er brauchte. Also musste er wohl auf diese kleine
Machtdemonstration verzichten.
    Er beugte sich über den Tisch und prallte gegen Palfreys
Körpergeruch wie gegen eine Wand. »Ein

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