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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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entgehen lassen. Seit sie
ein kleines Mädchen war, nahm sie sich daher jeden Tag eine
Weile Zeit, um Haldora zu beobachten, wenn der Planet hoch am Himmel
stand. Das war natürlich nichts gegen die unzähligen
Stunden, die die Observatoren in den Kathedralen der Betrachtung
widmeten, und die Wahrscheinlichkeit, dass sie gar nichts sah, war
entmutigend hoch. Aber solche Einwände nahm sie kurzerhand nicht
zur Kenntnis, während sie gleichzeitig jeden verachtete, der
sich nicht zu ihrer speziellen Form des kritischen wissenschaftlichen
Rationalismus bekannte.
    Die Dächer der Karawane bildeten eine Landschaft voller
Hindernisse und Gefahren. Generatorkästen, Lüftungsgitter
und Propellerflügel versperrten den Weg, Leitungen und
Stromkabel schlängelten sich über den Boden. Alles war
uralt und im Lauf der Jahre immer wieder zusammengeflickt worden.
Rachmika folgte einem Laufsteg mit Geländer bis zum Rand und
schaute in die Tiefe. Der Boden war erschreckend weit entfernt und
bewegte sich nur langsam. Außer ihr war niemand hier oben,
jedenfalls nicht auf diesem Wagen.
    Sie legte den Kopf so weit in den Nacken, wie das Helmscharnier es
erlaubte. Der Himmel war voller Lichter, die sich gegenläufig
bewegten, als gäbe es da oben zwei Sphärenschalen, zwei
ineinander geschachtelte Kugeln aus Kristall. Der Anblick verursachte
ihr wie immer Schwindelgefühle. Das war unter normalen
Umständen nur etwas störend, aber in dieser Höhe
konnte es tödlich sein.
    Rachmika umfasste das Geländer fester und richtete den Blick
auf den Horizont. Als sie sich sicherer fühlte, hob sie abermals
den Kopf.
    Der Eindruck, im Zentrum zweier Sphären zu stehen, war nicht
ganz unrichtig. An der äußeren Sphäre befanden sich
die unvorstellbar weit entfernten Sterne; über die innere
Sphäre glitten die Schiffe, die Hela umkreisten. Das Sonnenlicht
spiegelte sich in den blanken Rümpfen. Gelegentlich zuckte ein
diamantharter Lichtstrahl aus den Steuerdüsen, wenn die
Ultra-Besatzungen eine Bahnkorrektur vornahmen oder ihr Schiff in
Startposition brachten.
    Rachmika hatte gehört, dass sich immer dreißig bis
fünfzig Schiffe im Orbit um Hela befänden, die aber
ständig wechselten. Es waren zumeist keine großen
Raumschiffe, denn die Ultras trauten Haldora nicht und blieben mit
ihrem wertvollsten Besitz lieber in sicherer Entfernung. Was sie sah,
waren im Allgemeinen interplanetare Shuttles, gerade groß genug
für eine Ladung von Pilgern im Kälteschlaf und eine
kleinere Gruppe von Ultras für die Verkaufsverhandlungen. Die
Fähren, die zwischen Hela und dem Orbit verkehrten, waren
gewöhnlich noch kleiner, denn die Kirchen gestatteten nicht,
dass große Raumschiffe auf Helas Oberfläche landeten.
    Die großen interstellaren Schiffe – auch Lichtschiffe
genannt – gingen nur selten um Hela in den Orbit. Doch dann
erstrahlten sie am Himmel wie kostbare Geschmeide, die auf
unsichtbaren Schienen von Horizont zu Horizont glitten. Rachmika
hatte in ihrem Leben noch nicht viele Lichtschiffe gesehen und fand
sie immer wieder beeindruckend und beängstigend zugleich. Ihre
Welt war ein Stück Weltraumschutt mit einer dünnen
Eisschicht. Wenn ihr eines dieser Riesenschiffe zu nahe kam –
insbesondere, wenn es mit dem Hauptantrieb Bahnkorrekturen vornahm
–, war es, als hielte man eine Schweißflamme zu dicht an
einen Schneeball.
    Der Schwindel kehrte in Wellen zurück. Rachmika schaute
wieder zum Horizont, ihre Nackenmuskeln entspannten sich. Der alte
Anzug war zuverlässig, aber nicht unbedingt für
Himmelsbeobachtungen geeignet.
    Dafür konnte sie jetzt Haldora bewundern. Zwei Drittel des
Planeten standen über dem Horizont. Hela hatte keine
Atmosphäre, alle Formen am Horizont waren klar umrissen, und es
gab kaum optische Anhaltspunkte, die einen Vergleich zwischen einem
Gegenstand in zwanzig bis dreißig Kilometern Entfernung und
einem zweiten ermöglicht hätten, der sich fast eine Million
Kilometer dahinter befand. Der Gasriese sah aus, als wäre er ein
Teil ihrer Welt. Wenn er dicht über dem Horizont stand, wirkte
er größer als im Zenith, aber das war eine optische
Täuschung, ein Nebenprodukt ihrer Wahrnehmungsstrukturen.
Haldora erschien am Himmel von Hela etwa vierzigmal so groß wie
der Mond am Himmel der Erde. Darüber hatte sie sich oft
gewundert, denn verglichen damit konnte dieser Mond so beeindruckend
nicht sein, obwohl er in der Literatur und der Mythologie der Erde
eine so bedeutende Rolle spielte.
    Von ihrem jetzigen

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