Offenbarung
eine
weitere Sicherung, dass die innere Tür aufging, wenn auch die
äußere offen war. Das war jetzt nicht der Fall, und so
gehorchte ihr die Tür ebenso wie zuvor dem Quästor. Sie
schlüpfte in die Schleuse, schloss die innere Tür hinter
sich und legte ihren Druckanzug an. Mit einem Blick auf die
Tankanzeige vergewisserte sie sich, dass noch genügend Luft
vorhanden war. Das hatte sie auch getan, bevor sie von zu Hause
fortging. Für einen Moment hatte sie das Gefühl, alles
schon einmal erlebt zu haben.
Damals war der Tank nicht ganz voll gewesen war, so als hätte
jemand kurz zuvor ihren Anzug getragen. Sie hatte sich weiter nichts
dabei gedacht, aber jetzt stürmten gleich mehrere Erinnerungen
auf sie ein, die sie beunruhigten. Aus den Fußspuren, die sie
im Eis vor der Oberflächenschleuse gesehen hatte, konnte man
schließen, dass jemand nicht nur den Anzug benutzt hatte,
sondern auch die Schleuse. Die Spuren waren klein genug gewesen, um
ihrer Mutter zu gehören, aber ebenso leicht könnten es auch
ihre eigenen gewesen sein.
Die Gendarmerie hatte sie verdächtigt, etwas mit der Sabotage
zu tun zu haben. Indem sie wenig später davonlief, hatte sie
diesen Verdacht nicht gerade entkräftet, aber wenn sonst nichts
auf sie als Täterin hingewiesen hätte, wäre sie nicht
verfolgt worden.
Wie sollte sie das verstehen? Wenn sie das Sprengstofflager
hochgejagt hätte, müsste sie sich doch daran erinnern. Und
warum sollte sie überhaupt ein so sinnloses Verbrechen begehen? Nein, dachte sie, ich kann es nicht gewesen sein. Es war
nur ein unglückliches Zusammentreffen.
Aber so leicht ließen sich ihre Zweifel nicht
zerstreuen.
Zehn Minuten später stand sie auf dem Dach der riesigen
Maschine unter dem weiten luftleeren Himmel. Der Sabotagevorwurf
beunruhigte sie immer noch, aber sie zwang sich, stattdessen an das
nahe Liegende zu denken.
Sie vergegenwärtigte sich die Szene im Korridor, als der
Quästor sie ertappt hatte. Was für ein Zufall! Von allen
möglichen Zugängen zum Dach hatte er genau den
gewählt, an dem sie gerade ihr Glück versuchte.
Wahrscheinlich spionierte er ihr nach und hatte ihre Streifzüge
durch sein kleines rollendes Reich genau verfolgt. Und als er mit ihr
sprach, hatte er etwas vor ihr verheimlicht, davon war sie
überzeugt. Es stand ihm ins Gesicht geschrieben, zeigte sich im
kurzen Hochziehen der Augenbrauen. Fühlte er sich schuldig, weil
er sie bespitzelte? Er und sein grässliches Haustier hatten
sicher nicht oft Gelegenheit, ein Mädchen ihres Alters zu
überwachen, und ließen sich nun keine Minute entgehen.
Die Vorstellung war ihr nicht angenehm, aber sie würde nicht
lange bei der Karawane bleiben, und jetzt wollte sie vor allem das
Dach erkunden. Wenn er sie tatsächlich beobachtete, hätte
er Zeit genug gehabt, sie aufzuhalten, während sie die Treppe
zum Dach suchte und in ihren Anzug stieg. Doch bisher war niemand
gekommen, also war er vielleicht anderweitig beschäftigt oder
hielt es nicht der Mühe wert, sie an ihrem Vorhaben zu
hindern.
Sie war so glücklich, wieder draußen im Freien sein zu
können, dass sie ihn schnell vergaß.
Rachmika hatte Haldora nie verschwinden sehen. Zu ihren Lebzeiten
hatte es zwei Auslöschungen gegeben, bei der einen hätte
man den Planeten auch vom Ödland aus beobachten können,
aber sie war zur fraglichen Zeit in der Schule gewesen. Und selbst
wenn man das große Glück hatte, draußen auf dem Eis
zu sein, gab es kaum etwas zu sehen. Im Bruchteil einer Sekunde war
alles vorüber. Bis man begriffen hatte, dass man Zeuge einer
Auslöschung geworden war, war es schon zu spät. Die
einzigen Menschen, die das Ereignis bewusst erlebten – mit
Ausnahme von Quaiche natürlich, mit dem alles angefangen hatte
–, waren jene, die es sich zur Aufgabe machten, Haldora
unentwegt zu beobachten. Und auch sie konnten nur hoffen, dass sie im
entscheidenden Moment nicht blinzelten oder den Blick abwandten. Da
sie sich mit Drogen und neurologischen Eingriffen auf Dauer wach
hielten, waren sie durch den Schlafentzug ohnehin halb
wahnsinnig.
Für Rachmika war diese Art von Hingabe unbegreiflich, aber
sie hatte auch nie den Wunsch verspürt, einer Kirche
beizutreten. Sie wollte sehen, wie Haldora verschwand, weil sie immer
noch an der Ansicht festhielt, es handle sich dabei um ein rational
erklärbares Naturphänomen und nicht um ein Eingreifen
Gottes in kosmischen Dimensionen. Außerdem wollte sie sich ein
so seltenes und wundersames Ereignis nicht
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