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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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Injektionsspritze.
Dabei summte und pfiff er vor sich hin. Die Flasche hängte er an
einen Haken an der Rückseite des Throns, die Injektionsnadel
stieß er der Königin in den rechten Oberarm und bewegte
sie so lange hin und her, bis er die Vene gefunden hatte. Dann kam er
wieder nach vorne, wo auch der Körper ihn sehen konnte.
    Es war ein weiblicher Klon, aber das war nicht zwangsläufig
so. Obwohl alle Körper aus Jasminas eigenem Genmaterial
gezüchtet wurden, konnte Grelier in einem frühen
Entwicklungsstadium eingreifen und das Geschlecht beliebig
verändern. Gewöhnlich schuf er Jungen oder Mädchen.
Doch hin und wieder gönnte er sich das Vergnügen, abstruse
Neutren oder zwischengeschlechtliche Varianten entstehen zu lassen.
Steril waren sie alle, aber nur deshalb, weil es zu viel Zeit
gekostet hätte, sie mit funktionsfähigen
Fortpflanzungsorganen auszustatten. Der Einbau der neuronalen
Kopplungsimplantate, die Jasmina benötigte, um die Körper
steuern zu können, war schon aufwändig genug.
    Die Königin spürte, wie der Schmerz plötzlich
nachließ. »Ich will keine Betäubung,
Grelier.«
    »Schmerz, der nicht gelegentlich abflaut, ist wie Musik ohne
Pausen«, entgegnete er. »Sie müssen mir vertrauen, das
haben Sie bisher doch immer getan.«
    »Ich vertraue Ihnen, Grelier«, sagte sie
widerwillig.
    »Aufrichtig, Madame?«
    »Ja. Aufrichtig. Sie waren immer mein Favorit. Das wissen Sie
doch?«
    »Ich tue nur meine Arbeit, Madame. Und ich bemühe mich,
sie so gut zu tun, wie es in meinen Kräften steht.«
    Die Königin legte den Schädel in ihren Schoß und
fuhr ihm mit der freien Hand durch die weißen Stoppeln.
    »Ohne Sie wäre ich verloren. Gerade jetzt.«
    »Unsinn, Madame. Ihr Wissen ist inzwischen so umfassend, dass
ich befürchten muss, von Ihnen überflügelt zu
werden.«
    Das war kein leeres Kompliment: Obwohl Grelier sein ganzes Leben
der Erforschung von Schmerzen gewidmet hatte, holte Jasmina rasch
auf. Sie besaß überragende Kenntnisse im Bereich der
Physiologie. Sie verstand etwas von Nocizeption; sie kannte den
Unterschied zwischen epikritischen und protopathischen Schmerzen; sie
wusste, was präsynaptische Blockaden und neospinale Nervenbahnen
waren. Sie konnte Prostaglandin-Promotoren und GABA-Agonisten
auseinander halten.
    Aber sie kannte den Schmerz auch von einer Seite, die Grelier
verborgen bleiben musste. Er begnügte sich damit, ihn anderen
zuzufügen, er erlebte ihn nicht von innen heraus. Hier war das
Objekt seiner Bemühungen im Vorteil. Er mochte noch so viel
theoretisches Wissen erwerben, in diesem Punkt würde sie ihm
immer voraus sein.
    Wie die meisten seiner Zeitgenossen glaubte Grelier, nur das
dumpfe Pochen eines eingerissenen Niednagels vertausendfachen zu
müssen, um zu wissen, wie Höllenqualen sich
anfühlten.
    Er hatte keine Ahnung.
    »Ich mag viel dazugelernt haben«, sagte sie, »aber
in der Kunst des Klonens werden Sie immer der Meister bleiben. Meine
Bemerkung vorhin war ernst gemeint, Grelier: Ich rechne
tatsächlich mit einem Anwachsen der Nachfrage. Können Sie
meinen Bedarf decken?«
    »Sie sagten, die Produktion müsse unvermindert
fortgesetzt werden. Das ist nicht ganz das Gleiche.«
    »Aber Sie arbeiten doch im Moment nicht mit voller
Leistung?«
    Grelier zog die Schrauben nach. »Ich will ganz offen sein:
Wir sind hart an der Grenze. Im Augenblick bin ich noch gewillt,
Einheiten auszumustern, die unseren bisherigen strengen
Maßstäben nicht genügen. Aber wenn die
Produktionsleistung noch gesteigert werden soll, müssen wir die
Maßstäbe senken.«
    »Sie haben heute eine Einheit ausgemustert?«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Ich nehme an, Sie wollten Ihre Qualitätsansprüche
besonders deutlich machen.« Sie hob mahnend den Zeigefinger.
»Ich habe nichts dagegen. Diese Haltung ist der Grund, warum Sie
für mich arbeiten. Natürlich bin ich enttäuscht –
ich weiß genau, welchen Körper Sie abgeschaltet haben
–, aber Maßstäbe sind dazu da, um eingehalten zu
werden.«
    »Das war immer meine Devise.«
    »Schade, dass das nicht jeder auf diesem Schiff von sich
behaupten kann.«
    Er summte und pfiff ein Weilchen vor sich hin, bevor er wie
nebenbei bemerkte: »Ich hatte von Ihrer Mannschaft immer einen
hervorragenden Eindruck, Madame.«
    »Meine Stammbesatzung ist nicht das Problem.«
    »Dann bezieht sich Ihre Kritik also auf jemanden, der von
außerhalb kommt? Hoffentlich nicht auf mich?«
    »Tun Sie nicht so, als wüssten Sie nicht ganz genau,

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