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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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gut wie möglich herauszukommen, aber jedermann
wusste, dass er den Mann gesucht hatte, um ihm Blut einzuspritzen,
und nicht, um es abzunehmen.
    Auf halbem Wege nach oben hielt er an einer Sprechstelle an und
bestellte beim Offizium ein Team, das die Leiche abholen
sollte. Er würde einiges zu erklären haben, aber
darüber machte er sich weiter keine Gedanken.
    Grelier nahm zum Glockenturm den langen Weg durch die
Haupthalle. Er hatte es nicht sonderlich eilig, Quaiche nach dem
Vaustad-Debakel unter die Augen zu treten. Außerdem hatte er es
sich zur Gewohnheit gemacht, jedes Mal, wenn er hinauf- oder
hinunterging, wenigstens eine Runde durch die Halle zu drehen. Sie
war der größte Raum in der ganzen Kathedrale und –
abgesehen vom Antriebsbereich – der einzige Ort, wo er die
leichte Platzangst nicht spürte, die ihn in jedem anderen Teil
des mobilen Gebäudes quälte.
    Nicht nur die Kathedrale war im Laufe ihrer Geschichte immer
weiter gewachsen, auch die Halle war häufig umgestaltet und
erweitert worden. Ein flüchtiger Beobachter bemerkte davon nicht
viel, aber Grelier hatte die meisten Veränderungen miterlebt und
sah so manches, was anderen vielleicht entging. Wo man
Innenwände entfernt oder versetzt hatte, waren Narben
zurückgeblieben. Man konnte auch noch erkennen, wo die
ursprüngliche, sehr viel niedrigere Decke gewesen war. Die neue
war vor dreißig oder vierzig Jahren eingezogen worden –
ein Riesenprojekt auf einer luftlosen Welt wie Hela, besonders da der
Raum während des Umbaus weiter benutzt wurde und die Kathedrale
sich natürlich ununterbrochen fortbewegen musste. Der Chor hatte
während der gesamten Arbeiten gesungen, ohne einen Ton
auszulassen, und die Zahl der Todesfälle unter den Bauarbeitern
hatte sich im Rahmen gehalten.
    Grelier blieb vor dem Glasfenster an der rechten Seite stehen. Das
farbige Kunstwerk war einige Dutzend Meter hoch und wurde von
mehreren gegliederten Steinbögen umrahmt und von einer Rosette
gekrönt. Grundgerüst, Antriebsmechanik und
Außenverkleidung der Kathedrale bestanden zwangsläufig
fast ausschließlich aus Metall, aber innen hatte man die
Wände weithin mit dünnem Sichtmauerwerk verblendet. Das
Material war zum Teil aus heimischen Mineralien gewonnen worden, den
Rest – den zartgelben Kalkstein wie den erlesenen
rötlichweißen Marmor – hatte man von den Ultras
importieren lassen. Einige der Steine stammten angeblich sogar aus
Kathedralen auf der Erde. Grelier war in diesem Punkt sehr
misstrauisch: Er hielt irgendeinen nahen Asteroiden für
wahrscheinlicher. Ähnlich erging es ihm mit den heiligen
Reliquien, die in Nischen zur Schau gestellt und von Kerzen
beleuchtet wurden. Wie alt sie tatsächlich waren, und ob sie
wirklich von Goldschmieden aus dem Mittelalter gefasst oder von
Nanoreplikatoren hergestellt worden waren, ließ sich nur
vermuten.
    Woher die Steine im Rahmen auch kamen, das Glasfenster selbst war
jedenfalls eine Augenweide. Im rechten Licht erstrahlte es nicht nur
in seiner vollen Pracht, sondern übertrug diese Pracht auch auf
alle Dinge und Personen in der Halle. Dabei kam es weniger darauf an,
was es darstellte – es wäre auch schön gewesen, wenn
die bunten vakuumdichten Glasbausteine nur abstrakte kaleidoskopische
Muster gebildet hätten –, aber Grelier achtete besonders
auf die Bilder. Sie wurden auf Anweisung von Quaiche persönlich
von Zeit zu Zeit verändert. Wenn es dem Generalmedikus schwer
fiel, aus dem Dekan klug zu werden (was immer häufiger der Fall
war), gewährten ihm die Fenster zusätzlichen Einblick in
den Geisteszustand seines Herrn und Meisters.
    So war es auch jetzt: Als er sich das Fenster zum letzten Mal
angesehen hatte, war das Thema Haldora gewesen, eine stilisierte
Darstellung des Planeten aus ockergelben und bräunlichen
Glasteilen. Der Gasriese stand vor einem blauen Hintergrund, die
umliegenden Sterne waren mit gelben Splittern angedeutet. Davor
breitete sich eine Felswüste aus schwarzen und weißen
Scherben aus. Quaiches abgestürztes Schiff lag golden funkelnd
zwischen den Steinblöcken. Quaiche selbst kniete in einer Kutte,
mit langem Bart, davor auf dem Boden und hob flehentlich eine Hand
zum Himmel. Das vorletzte Bild hatte die Kathedrale gezeigt, wie sie
gleich einem winzigen Segelschiff auf stürmischer See im
Zickzack die Teufelstreppe hinabfuhr. Alle anderen Kathedralen
folgten ihr in weitem Abstand, und am Himmel stand in etwas kleinerer
Ausführung Haldora.
    Was davor gewesen war,

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