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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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lügen,
aber ich wollte auch niemanden kränken. So war es am besten
zu schweigen.
Dass du jetzt nach mir suchst, rechne ich dir hoch an. Du bist
sehr tapfer, und ich kann dir gar nicht sagen, wie viel mir das
bedeutet. Aber du musst nach Hause zurückkehren, bevor ich
noch mehr Unheil über dich bringe. Tu es für mich: Fahr
wieder nach Hause ins Ödland, und sage allen, dass ich
glücklich bin und dass ich sie liebe. Ich vermisse sie
schrecklich, aber ich bereue nicht, was ich getan habe. Bitte.
Tust du mir den Gefallen? Auch dich liebe ich von Herzen. Behalte
mich so in Erinnerung, wie ich einst war, als deinen Bruder, nicht
als das, was ich jetzt bin. Dann wird alles gut.
    In Liebe
    Dein Bruder Harbin Els
     
    Rachmika las den Brief noch einmal und suchte zwischen den Zeilen
nach einer geheimen Botschaft. Dann legte sie ihn aus der Hand. Doch
als sie ihn schließen wollte, hielt das Siegel nicht mehr.
     
    Grelier gefiel zumindest die Aussicht. Quaiches Mansardenzimmer
mit den vielen Fenstern lag zweihundert Meter über Helas
Oberfläche an der Spitze des Glockenturms. Von hier aus
konnte man nach beiden Seiten fast zwanzig Kilometer des Weges überblicken. Die Kathedralen reihten sich aneinander wie
Perlen an einer kunstvoll geknüpften Kette. Nach vorne waren es
nur einige wenige, doch nach rückwärts erstreckte sich der
Zug bis hinter den Horizont. Im Vakuum waren auch die Spitzen der
fernsten Türme unnatürlich klar zu erkennen und schienen
viel näher zu sein, als es tatsächlich der Fall war.
Grelier musste sich selbst daran erinnern, dass einige fast vierzig
Kilometer entfernt waren und erst in mehr als dreißig Stunden,
drei Vierteln eines Hela-Tages, die Stelle erreichen würden, an
der sich die Morwenna gerade befand. Etliche Kathedralen lagen
so weit zurück, dass nicht einmal die Spitzen ihrer Türme
über den Horizont ragten.
    Das Zimmer hatte die Form eines Sechsecks mit hohen gepanzerten
Fenstern auf allen Seiten. Die Lamellen der Metalljalousien warteten
nur auf einen Befehl von Quaiche, um sich so zu drehen, dass das
Licht von allen Seiten abgeschirmt wurde. Im Moment war der Raum voll
beleuchtet; Schattenstreifen zogen sich über jeden Gegenstand
und jede Person. Überall standen Podeste mit Spiegeln, die so
ausgerichtet waren, dass sie sich gegenseitig die Bilder zuwarfen.
Als Grelier eintrat, empfingen ihn von allen Seiten Fragmente seines
eigenen Spiegelbilds.
    Er stellte den Krückstock in einen Holzständer neben der
Tür.
    Außer ihm waren zwei Personen im Raum. Quaiche, ein
verschrumpeltes Männchen, lag wie üblich in seinem
Krankenstuhl, der aussah wie eine barocke Wiege. Im hellen Tageslicht
wirkte er noch mehr wie ein Gespenst als sonst, wenn die Jalousien
geschlossen waren und das Turmzimmer im Halbdunkel lag. Die
übergroße schwarze Sonnenbrille betonte die krankhafte
Blässe seines schmalen Gesichts. Das im Krankenstuhl eingebaute
Lebenserhaltungssystem summte, klickte und gurgelte nachdenklich vor
sich hin. Gelegentlich verabreichte es seinem Schützling
irgendein Medikament. Die weniger appetitlichen ärztlichen
Verrichtungen fanden unter einer scharlachroten Decke statt, die
Beine und Oberkörper verhüllte, nur hin und wieder wurde
durch einen der vielen Schläuche eine giftgrüne oder
stahlblaue Flüssigkeit, die niemand mit Blut verwechseln konnte,
in seine Armvenen oder seine Schädelbasis gepumpt. Er sah krank
aus, und in seinem Fall trog der Schein nicht.
    Allerdings sah er schon seit Jahrzehnten so aus, dachte Grelier.
Quaiche war ein uralter Mann, der alle verfügbaren Therapien zur
Lebensverlängerung bis an die Grenzen ihrer Möglichkeiten
ausreizte. Aber er ging dabei nie zu weit. Anscheinend brachte er
nicht die Kraft auf, die Schwelle des Todes zu
überschreiten.
    Als sie unter Jasminas Kommando auf der Gnostische Himmelfahrt fuhren, waren sie biologisch etwa gleich alt gewesen, dachte
Grelier. Doch dann hatte Quaiche einhundertzwölf Jahre
Planetenzeit voll durchlebt, während er selbst nur dreißig
Jahre wach gewesen war. Die Abmachung war ganz einfach gewesen, aber
die Bedingungen für Grelier waren überaus
großzügig.
    »Ich finde Sie nicht sehr sympathisch«, hatte ihm
Quaiche nach seiner Rückkehr auf die Gnostische Himmelfahrt erklärt. »Das haben Sie wahrscheinlich schon
gemerkt.«
    »Es war kaum zu übersehen«, antwortete Grelier.
    »Aber ich brauche Sie. Sie können mir nützlich
sein. Ich will nicht sterben. Nicht hier und nicht jetzt.«
    »Was ist

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