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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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die Tischmitte zwischen dem Y und dem H und
ließ den Staub durch seine kurzen Stummelfinger rinnen.
    Es war ein kritischer Moment. Wenn nichts geschah – wenn das
Schiff den Staub nicht auf der Stelle und unmissverständlich auf
den einen oder anderen Buchstaben zeigen ließ, um seine
Absichten kundzutun, wäre er erledigt. Sosehr er sich
wünschte, die Sache zu Ende zu bringen, er hätte sich zum
Gespött gemacht. Aber Clavain hatte solche Gesten nie gescheut.
Er war sein Leben lang von einem kritischen Moment zum anderen
gestolpert.
    Scorpio blickte auf. Der Staub ging zur Neige.
    »Jetzt sind Sie dran, John.«

 
Hela

2727
     
     
    Nachts in ihrem Zimmer kehrte die Stimme zurück. Sie wartete
immer, bis Rachmika das Turmzimmer verlassen hatte und allein war.
Beim ersten Mal hatte das Mädchen gehofft, es handle sich um
eine vorübergehende Wahnvorstellung, vielleicht eine Nachwirkung
von quaichistischen Viren, die irgendwie in ihren Körper gelangt
waren und ihr nun den Verstand verwirrten. Aber dafür war die
Stimme zu vernünftig, zu ruhig, zu gelassen, und was sie sagte,
bezog sich direkt auf Rachmika und ihr Dilemma und nicht auf
irgendeinen beliebigen Empfänger.
    [Rachmika], sagte sie. [Bitte höre uns an. Die
Krise rückt näher, in mehr als einer Beziehung.]
    »Lasst mich in Ruhe«, sagte sie und vergrub ihren Kopf
im Kissen.
    [Wir brauchen deine Hilfe jetzt], sagte die Stimme.
    Auch wenn sie nicht antwortete, würde die Stimme sie weiter
bedrängen. Ihre Geduld war endlos. »Meine Hilfe?«
    [Wir wissen, was Quaiche mit dieser Kathedrale vorhat. Er will
sie über die Brücke fahren. Das kann nicht gut gehen,
Rachmika. Die Brücke wird die Morwenna nicht tragen. Sie
ist nicht für das Gewicht einer ganzen Kathedrale
gebaut.]
    »Und woher wisst ihr das?«
    [Die Brücke ist kein Relikt der Flitzer. Sie ist sehr
viel jünger. Und sie wird für die Mor nicht stark
genug sein.]
    Sie richtete sich auf ihrer schmalen Pritsche auf und drehte die
Jalousien, damit das Licht durch das Buntglasfenster ins Zimmer
fallen konnte. Unter sich spürte sie das Poltern und Schwanken
der Kathedrale, in der Ferne war das Rattern der Motoren zu
hören. Sie dachte an die Brücke, die zart wie ein Traum vor
ihnen erglänzte, nichts ahnend von der gewaltigen Masse, die
langsam auf sie zuglitt.
    Was meinte die Stimme damit, dass sie jünger sei?
    »Ich kann die Kathedrale nicht anhalten«, sagte sie.
    [Das brauchst du auch nicht. Du brauchst uns nur in Sicherheit
zu bringen, bevor es zu spät ist.]
    »Warum fragt ihr nicht Quaiche?«
    [Glaubst du, das hätten wir nicht versucht, Rachmika?
Glaubst du, wir hätten nicht Stunden damit verbracht, in zu
überreden? Aber er kümmert sich nicht um uns. Er zöge
es vor, wenn wir nicht existierten. Manchmal kann er sich sogar davon
überzeugen. Wenn die Kathedrale von der Brücke stürzt
oder die Brücke zusammenbricht, werden wir zerstört. Er
wird es zulassen, weil er sich dann nicht mehr mit uns zu
beschäftigen braucht.]
    »Ich kann euch nicht helfen«, sagte sie. »Und ich
will es auch nicht. Ihr macht mir Angst. Ich weiß nicht einmal,
wer ihr seid oder woher ihr kommt.«
    [Du weißt mehr, als du denkst], sagte die Stimme.
[Du bist unseretwegen hier, nicht wegen Quaiche.]
    »Unsinn.«
    [Wir wissen, wer du bist, Rachmika, oder vielmehr, wir wissen,
wer du nicht bist. Die Maschinen in deinem Kopf, weißt du noch?
Was glaubst du denn, woher sie kommen?]
    »Ich weiß nichts von Maschinen.«
    [Und deine Erinnerungen – kommt es dir nicht manchmal
vor, als gehörten sie jemand anderem? Wir haben gehört, wie
du mit dem Dekan gesprochen hast. Wir haben gehört, was du
über die Amarantin und deine Erinnerungen an Resurgam
sagtest.]
    »Ich hatte mich versprochen«, sagte sie. »Ich
meinte nicht…«
    [Du hast jedes Wort ernst gemeint, es ist dir nur noch nicht
bewusst. Du bist sehr viel mehr, als du ahnst, Rachmika. Wie weit
reichen deine Erinnerungen an das Leben auf Hela tatsächlich
zurück? Neun Jahre? Vermutlich nicht viel weiter. Und was war
vorher?]
    »Hört auf, so zu reden«, sagte sie.
    Die Stimme beachtete sie nicht. [Du bist nicht, was du zu sein
scheinst. Deine Erinnerungen an das Leben auf Hela sind nur eine
dünne Schicht. Darunter liegt etwas ganz anderes. Diese Schicht
hat dir neun Jahre lang gute Dienste geleistet, dank ihr konntest du
dich zwischen diesen Menschen bewegen, als wärst du hier
geboren. Die Illusion war so perfekt, so nahtlos, dass nicht einmal
du selbst

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