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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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klarer. Die Schatten hatten den
Flitzern eine Chance geboten, der Ausrottung zu entgehen, um den
Preis, dass sie ihnen eine Tür in dieses Universum
öffneten. Die Flitzer hatten bereits dicht davorgestanden, den
Sprung im letzten Augenblick aber doch nicht gewagt. So waren die
Schatten auf ihrer Seite des Bulk geblieben, und die Flitzer waren
untergegangen.
    Ein schmerzliches Gefühl des Versagens begleitete diese
Erkenntnis. Sie hatte sich geirrt. Die Flitzer waren doch Opfer der
Unterdrücker geworden. Alle Arbeit der vergangenen neun Jahre,
all die frommen Gewissheiten, auf die sie sich so viel zugute
gehalten hatte, waren von diesem einen Offenbarungstraum hinweggefegt
worden. Die Schatten hatten sie korrigiert. Was zählten ihre
Ansichten gegen das Zeugnis einer fremden Intelligenz?
    Die einzige Alternative – dass die Flitzer von den Schatten
ausgelöscht worden waren – hatte sie bereits erwogen. Aber
sie ergab noch weniger Sinn als die Unterdrückerhypothese.
Angenommen, die Flitzer hätten die Schatten eingelassen, und die
Schatten hätten sich so weit organisiert, dass sie solche
Schäden anrichten konnten, wo waren sie dann geblieben? Dass sie
Hela in Schutt und Asche gelegt und die Flitzer ausgerottet haben
sollten, um dann kleinlaut in ihr eigenes Universum
zurückzukriechen, war undenkbar. Ebenso wenig konnte man
annehmen, dass sie die Kluft überwunden und den Mond
verwüstet hatten, um dann in irgendeiner Ecke dieses Universums
zu verschwinden. Sie mussten nämlich – das hatte die Stimme
ausdrücklich gesagt – den Wechsel erst noch vollziehen.
Deshalb sprachen sie ja zu ihr.
    Sie verlangten von der Menschheit, den Mut aufzubringen, der den
Flitzern gefehlt hatte.
    Eines war jetzt immerhin klar: Haldora war der Signalmechanismus,
der große Empfänger, den die Flitzer gebaut hatten. Sie
hatten den früheren Gasriesen in seine Bestandteile zerlegt und
die Reste zu einer Gravitationsantenne von der Größe einer
Welt verarbeitet, die in ihrem Innern einen Massengenerator
verbarg.
    Das Bild von Haldora, das die Observatoren sahen, wenn sie in den
Himmel schauten, war nur eine Tarnprojektion. Die Flitzer gab es
nicht mehr, aber der Empfänger war erhalten geblieben. Doch hin
und wieder brach die Tarnung für einen Sekundenbruchteil
zusammen. Und dann sahen die Observatoren nicht etwa Gottes
strahlende Zitadelle, sondern den Mechanismus des Empfängers, so
wie er wirklich war.
    Eine Tür am Himmel, die nur darauf wartete, geöffnet zu
werden.
    Damit blieb nur noch eine, die vielleicht schwierigste Frage
unbeantwortet. Wenn alles, was die Schatten ihr gesagt hatten, die
Wahrheit war, dann musste sie auch glauben, was sie ihr über
sich selbst gesagt hatten.
    Dass sie nämlich nicht war, was sie zu sein schien.

 
Im interstellaren Raum

2675
     
     
    Fünf Tage später legten einige Techniker Scorpio in den
Kälteschlaftank und verkabelten ihn. Es war eine regelrechte
Operation: ein Ritual mit Einschnitten, Kathetern und Tupfern mit
Vereisungs- und Sterilisationsmittel.
    »Du brauchst nicht zuzusehen«, sagte er zu Khouri, die
mit Aura auf dem Arm am Fuße des Tanks stand.
    »Ich möchte sicher sein, dass du gefahrlos
einschläfst«, sagte sie.
    »Du willst sicher sein, dass ich auch wirklich von der
Bildfläche verschwinde.« Noch während er sprach, wurde
ihm bewusst, dass er unnötig grausam war.
    »Wir brauchen dich, Scorp. Mag sein, dass wir nicht einer
Meinung mit dir sind, was Hela angeht, aber deshalb bist du uns nicht
weniger wertvoll.«
    Das Kind sah fasziniert zu, wie die Techniker einen Plastik-Shunt
in Scorpios Handgelenk einführten. Die Narbe des letzten
Zugangs, den man ihm vor dreiundzwanzig Jahren entfernt hatte, war
noch zu sehen.
    »Tut weh«, sagte Aura.
    »Ja«, sagte er. »Es tut weh, Kind. Aber es ist
auszuhalten.«
    Der Kälteschlaftank stand in einem eigenen Raum. Es war
derselbe, in dem Scorpio vor vielen Jahren nach Ararat gekommen war.
Jetzt wirkte er primitiv und veraltet: ein plumper schwarzer Kasten
mit abgeschrägten Ecken, schwerfällig wie ein
schmiedeeisernes Folterinstrument aus dem Mittelalter.
    Aber er hatte bisher noch nie versagt und seine tief gefrorenen
menschlichen Schützlinge auch während jahrelanger
relativistische Flüge durch den interstellaren Raum
zuverlässig am Leben erhalten. Er hatte keinen umgebracht, alle
waren mit intakten geistigen Fähigkeiten ins Leben
zurückgeholt worden. Der Tank enthielt nur das unverzichtbare
Minimum an Nanotechnik.

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