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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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Weder die Schmelzseuche noch die
Transformationen des Captains hatten ihm jemals etwas anhaben
können. Jeder Standardmensch, der einige Zeit in diesem Tank
verbringen sollte, konnte seiner Reanimation mit Ruhe und
Gelassenheit entgegensehen. Verglichen mit den schnittigeren,
moderneren Geräten waren die Übergänge in und aus dem
Kälteschlaf langwierig und unangenehm. Mit körperlichen und
geistigen Beschwerden war zu rechnen. Aber man konnte davon ausgehen,
dass das Gerät so arbeiten würde wie vorgesehen und dass
der Insasse am anderen Ende der Reise wieder aufwachen
würde.
    Leider galt das alles nicht für Hyperschweine. Die Tanks
waren auf der Ebene der Zellchemie auf die Physiologie von
Standardmenschen abgestimmt, und da gab es keine Kompromisse. Scorpio
hatte schon mehrere Kälteschlafphasen hinter sich, und jedes Mal
war das Risiko hoch gewesen. Er sagte sich zwar, die
Wahrscheinlichkeit, in diesem Gerät zu sterben, wäre nicht
größer als beim ersten Mal, aber das stimmte nicht ganz.
Er war viel älter geworden. Sein eigener Körper war nicht
mehr so stark wie beim letzten Mal, als er die Prozedur durchgemacht
hatte. Niemand wollte mit harten Zahlen herausrücken und ihm
sagen, ob die Chance, dass er nicht mehr lebend herauskäme, bei
zehn, zwanzig oder gar dreißig Prozent lag, dabei war diese
Weigerung allein schon beunruhigender als jede kalte
Risikoeinschätzung. Immerhin hätte er dann abwägen
können, was günstiger wäre – in den Tank zu
steigen oder die ganze Reise über wach zu bleiben. Fünf
oder sechs Jahre Schiffszeit und ein Alter von
fünfundfünfzig oder sechsundfünfzig Jahren gegen eine
dreißigprozentige Chance, gar nicht anzukommen? Die
Entscheidung wäre nicht einfach gewesen – ein Hyperschwein
konnte selbst unter normalen Umständen nicht damit rechnen, ein
Alter von sechzig Jahren zu erreichen. Aber bei Kenntnis aller Fakten
hätte er zumindest eine sachliche Grundlage gehabt. Jetzt trieb
ihn nur der Wunsch in die Kiste, die Zeit zu überbrücken.
Zum Teufel mit den Chancen; er wollte das Warten hinter sich haben,
bevor er erfuhr, ob sich die Reise nach Hela gelohnt hatte.
    Vorher musste er natürlich wissen, ob er einen schweren
Fehler gemacht hatte, als er das Schiff überredete, zuerst nach
Yellowstone zu fliegen.
    Als der Staub aus seiner Hand auf den Tisch rieselte, war er nicht
auf das H zugeronnen, sondern auf das Y. Die Bestätigung war
schon wenige Minuten später erfolgt: Das Schiff hatte sich
langsam gedreht und Kurs auf Epsilon Eridani genommen, anstatt den
matten, unbekannten Stern 107 Piscium anzufliegen.
    Sosehr er sich über die Entscheidung des Captains gefreut
hatte, sie hatte ihm auch Angst gemacht. Der Captain hatte sich nicht
der demokratischen Entscheidung des Ältestenrats angeschlossen,
sondern dem Votum der Minderheit. Scorpio war es zufrieden gewesen,
aber er hätte sicher nicht so empfunden, wenn sich der Captain
auf die Seite der anderen geschlagen hätte. Zu wissen, dass er
in John Brannigan einen Verbündeten hatte, war eine Sache. Sich
als Gefangener des Schiffes zu fühlen, wäre weniger
erfreulich.
    »Es ist noch nicht zu spät«, sagte Khouri. »Du
kannst abbrechen und die Reise in wachem Zustand erleben.«
    »Hast du das vor?«
    »Ich will wenigstens so lange warten, bis Aura älter
geworden ist«, sagte sie.
    Das Kind lachte.
    »Mir ist das Risiko zu hoch«, sagte Scorpio. »Wenn
man mich nicht einfriert, überlebe ich womöglich die Reise
nicht. Fünf oder sechs Jahre mögen für dich nicht viel
sein, für mich sind sie ein großer Brocken meines
Lebens.«
    »Wenn die neue Technik funktioniert, dauert es vielleicht
nicht so lange. Dann könnte sich die subjektive Zeit bis
Yellowstone auf zwei Jahre reduzieren.«
    »Immer noch zu viel für meinen Geschmack.«
    »Machst du dir so große Sorgen? Du sagtest doch immer,
du denkst nicht in die Zukunft?«
    »Das ist richtig. Und jetzt weißt du auch,
warum.«
    Khouri trat näher an den schwarzen Kasten heran, ließ
sich auf ein Knie nieder und zeigte ihm Aura. »Sie hält die
Entscheidung für falsch«, sagte sie. »Ich spüre
es. Sie ist überzeugt davon, dass wir sofort nach Hela fliegen
sollten.«
    »Irgendwann kommen wir schon dorthin«, sagte er.
»So John will.« Er wandte sich dem Kind zu und schaute in
die goldbraunen Augen. Die Kleine zuckte nicht vor ihm zurück,
sondern hielt seinen Blick fest. Sie blinzelte kaum.
    »Schatten«, gurgelte sie mit dieser Stimme, die immer so
klang, als

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