Offenbarung
die
man ihr in den Kopf gesetzt hatte.
»Es ist schon gut«, sagte er. »Sie schieben mich
nicht ab. Ich schlafe nur so lange weiter, bis sie wieder begreifen,
wie nützlich ich bin.«
»Das wird nicht lange dauern«, sagte Khouri. Sie kniete
nieder, sodass ihr Kopf auf gleicher Höhe mit dem Kopf ihrer
Tochter war. »Du hattest Recht«, sagte sie. »Ganz
gleich, was Aura dir riet, ganz gleich, was die anderen sagten, es
war die richtige Entscheidung. Eine tapfere Tat. Der Tag, an dem wir
das vergessen, ist der Tag, an dem wir anfangen können, uns
selbst als Wölfe zu bezeichnen.«
»So sehe ich es auch«, sagte Scorpio. »Danke
für die Unterstützung. Es ist nicht so, als hätte ich
keine Verbündeten. Nur sind es leider nicht so viele, wie ich
bräuchte.«
»Wir laufen nicht weg, Scorp. Wenn du das nächste Mal
aufwachst, sind wir immer noch da.«
»Was ist mit dir?«, fragte er. »Willst du die
nächste Etappe verschlafen?«
Er hatte die Frage an Khouri gerichtet, doch Aura gab die Antwort.
»Nein, Scorpio«, sagte sie. »Ich werde wach bleiben.
Ich bin jetzt sechs. Ich möchte älter sein, wenn wir Hela
erreichen.«
»Du hast dir schon alles zurechtgelegt, nicht wahr?«
»Nicht alles«, sagte sie, »aber die Erinnerungen
werden von Tag zu Tag mehr.«
»An die Schatten?«, fragte er.
»Es sind Leute«, sagte sie. »Nicht genau so wie wir
Menschen, aber sie stehen uns näher, als man denkt. Sie leben
nur irgendwie auf der anderen Seite. Aber dort geht es schlimm zu.
Mit ihrer Heimat geschieht etwas Schreckliches, und deshalb
können sie dort nicht mehr bleiben.«
»Manchmal spricht sie von Bran-Welten«, sagte Khouri.
»Sie murmelt im Schlaf mathematische Formeln und redet von
gefalteten Branen und Gravitationssignalen quer durch den Bulk. Wir
halten die Schatten für Entitäten, Scorp: Bewohner eines
Nachbaruniversums.«
»Das scheint mir ziemlich gewagt.«
»In den alten Theorien ist alles darüber zu finden. Im
Hyperraum des Bulk sind sie vielleicht nur ein paar Millimeter
entfernt.«
»Und was hat das mit uns zu tun?«
»Aura sagt, sie können dort nicht länger leben. Sie
müssen fort. Sie wollen die Kluft überwinden und in diese
Bran gelangen, aber dazu muss ihnen jemand von dieser Seite
helfen.«
»Einfach so? Und was hätten wir davon?«
»Sie hat immer von Verhandlungen gesprochen, Scorp. Damit
meinte sie wohl, dass uns die Schatten bei unserem lokalen Problem
helfen könnten.«
»Vorausgesetzt, wir helfen ihnen, die Kluft zu
überwinden«, ergänzte Scorpio.
»So ungefähr.«
»Weißt du was?«, fragte er, als die Techniker mit
der Verkabelung anfingen. »Darüber muss ich erst einmal
eine Nacht schlafen.«
»Was hast du da in der Hand?«, fragte Khouri.
Er öffnete die Faust und zeigte ihr die Muschelscherbe, die
Remontoire ihm gegeben hatte. »Einen Glücksbringer«,
sagte er.
Achtunddreißig
Hela
2727
Rachmika war auf dem Weg zum Glockenturm, als Grelier aus
dem Schatten zwischen zwei Pfeilern trat. Wie lange mochte er wohl
schon dort gestanden und darauf gelauert haben, dass sie genau diesen
Weg von ihrer Unterkunft wählte?
»Generalmedikus«, sagte sie.
»Ich hätte ein Wörtchen mit Ihnen zu reden, wenn es
Ihre Zeit erlaubt.«
»Ich bin auf dem Weg zum Turmzimmer. Der Dekan will mit einer
neuen Ultra-Delegation verhandeln.«
»Es wird nicht lange dauern. Ich weiß ja, wie
unentbehrlich Sie für ihn geworden sind.«
Rachmika zuckte die Achseln. Grelier würde sie nicht
freigeben, bevor er mit ihr fertig war. »Worum geht es?«,
fragte sie.
»Nichts weiter«, sagte er. »Nur eine kleine
Auffälligkeit in Ihrem Blut, über die ich mit Ihnen
sprechen wollte.«
»Lassen Sie sich nicht abhalten«, sagte sie.
»Nicht hier, wenn ich bitten darf. Feind hört mit, Sie
verstehen?«
Sie sah sich um. Niemand war zu sehen. Eigentlich ließ sich
so gut wie nie jemand blicken, wenn der Generalmedikus in der
Nähe war. Potenzielle Zeugen lösten sich einfach in Luft
auf, besonders wenn er mit seinem Medizinkoffer und seinem Arsenal
von gefüllten Injektionsspritzen die Runde machte. Heute hatte
er nur seinen Krückstock bei sich und klopfte sich mit dem Knauf
beim Sprechen von unten gegen das Kinn.
»Ich dachte, es dauert nur einen Moment«, sagte
Rachmika.
»Richtig, und es ist auch kein Umweg für Sie. Wir machen
nur einen kurzen Abstecher ins Blutzoll-Offizium, dann
können Sie wieder Ihren Pflichten nachgehen.«
Er geleitete sie zum nächsten Fahrstuhl in den
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