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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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eine Winzigkeit, und
es wäre geschafft. Wie viel Vorwarnung mochten die anderen
Schiffe bekommen haben, bevor es zu spät war, noch etwas zu
unternehmen?
    »Einhundertdreißig. Es ist jetzt in
Scheinwerferreichweite, Scorp.«
    »Strahlt es an. Mal sehen, was passiert.«
    Das Bild wechselte, die optischen Kameras erfassten die Szene im
Scheinwerferlicht. Das Shuttle schwenkte, drehte sich um die eigene
Achse und bereitete sich auf den Zielanflug vor. Das Licht fiel auf
den Rumpf: lädierte Metall- und Keramikflächen,
gewölbte Sichtfenster aus Hyperdiamant, verkratzte und
abgewetzte Markierungen, blank gescheuertes Metall an den
Lukenrändern, Dampfspiralen aus den Korrekturdüsen. Es sah
unglaublich echt aus, dachte Scorpio. Zu echt für ein
Tarngebilde der Wölfe. Wolfsmaschinen wären nur aus der
Ferne mit menschlichen Raumschiffen zu verwechseln; aus der Nähe
müssten sie sich doch sicherlich als Ansammlung von zahllosen
schwarzen Würfeln entpuppen, die nur eine entfernte
Ähnlichkeit mit Metall und Keramik hätten. Keine glatten
Kurven, keine kleineren Details, keine Unregelmäßigkeiten
in der Farbe, keine Spuren von Schäden und Reparaturen…
    »Einhundertzehn«, sagte Vasko. »Noch zehn Meter,
dann sichere ich das Weltraumgeschütz. Einverstanden,
Scorp?«
    »Zufrieden stellend.«
    Das war immer Teil des Plans gewesen. Bei noch geringerer
Entfernung würde die Wahrscheinlichkeit, dass das
Weltraumgeschütz nicht nur das Shuttle, sondern auch die Sehnsucht nach Unendlichkeit schwer beschädigte,
überdurchschnittlich hoch. Hätten sie das
Weltraumgeschütz allerdings gleich zu Anfang gebraucht…
doch darüber wollte Scorpio nicht nachdenken.
    »Geschütz gesichert«, meldete Vasko.
»Fünfundneunzig Meter. Neunzig.«
    Durch die langsame Drehung kam nun das Heck des Shuttles in Sicht.
Die Abgasöffnungen starrten ihnen entgegen wie ein Bündel
Gewehrläufe. Sie waren noch heiß und durchliefen beim
Abkühlen alle Farben des Spektrums. Am Schwanz befand sich das
eingeklappte Fahrgestell für die Landung auf luftlosen Welten.
Scorpio sah Blasen und Kapseln, deren Funktion ihm rätselhaft
war. Und noch etwas sah er: geometrisch abgestufte schwarze
Verkrustungen.
    »Wölfe«, flüsterte Vasko kaum hörbar.
    Scorpio stand das Herz still. Vasko hatte Recht. Die schwarzen
Wucherungen sahen genauso aus wie an Skades Schiff im Eisberg.
    Seine Hand schloss sich fester um den Abzug. Er glaubte zu
spüren, wie die hypometrischen Geschütze vor Ungeduld
zitterten.
    »Scorp«, sagte Vasko. »Schießen Sie.
Jetzt.«
    Er tat es nicht.
    »Schießen Sie!«, schrie Vasko.
    »Es ist keine Attrappe«, sagte Scorpio. »Es ist nur
infin…«
    Vasko entwand ihm den Hypometrikauslöser, riss ihn von der
Armlehne los und zog dabei die Kabel hinter sich her. Eine Ewigkeit
lang kämpfte er mit der schweinespezifischen Form. Es gelang ihm
nicht, sie mit den Fingern zu umschließen. Scorpio gab nicht
auf. Er beugte sich vor, packte Vaskos Hand, brachte den
Auslöser wieder in seine Gewalt und schob eine Hand in den
komplexen Griff. Mit der anderen hielt er Vasko zurück.
    »Verdammt, das werden Sie mir büßen«, fauchte
er.
    Aber der junge Mann sagte nur: »Schießen Sie.
Schießen Sie jetzt! Mit mir können Sie auch später
noch abrechnen. Es sind nur noch verdammte fünfundsiebzig Meter,
Scorp!«
    Scorpio spürte, wie ihm etwas Kaltes an den Hals
gedrückt wurde. Er riss den Kopf herum. Urton stand neben ihm
und hielt etwas in der Hand. Er sah nur einen silbernen Fleck.
Schusswaffe, Messer, Injektionsspritze – der Unterschied spielte
keine große Rolle.
    »Fallen lassen, Scorp«, sagte sie. »Es ist
vorbei.«
    »Was soll das sein?«, fragte er ruhig. »Eine
Meuterei?«
    »Nein, nicht so dramatisch. Nur ein Regimewechsel.«
    Vasko nahm den Auslöser an sich und zwängte die Finger
in die Schutzvorrichtung. »Fünfundsechzig Meter«,
flüsterte er und drückte.
    Die Lichter wurden schwächer.
     
    Man ließ ihn zusehen, wie die Flüchtlinge von Bord
gingen.
    Das Shuttle war in eine der kleineren Andockbuchten gebracht
worden. Nun stiegen die Insassen einzeln aus. Angehörige des
Sicherheitsdienstes bewachten sie und nahmen ihre Personalien auf.
Einige wussten offenbar nicht so genau, wer sie waren oder sein
sollten. Manche schienen erleichtert, andere wirkten nur müde,
als ahnten sie, dass ihnen diese Rettungsaktion nur eine kurze
Galgenfrist verschaffte.
    Insgesamt waren es etwa zwölfhundert, darunter zwei Dutzend
Mann Besatzung.

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