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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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jemandem dort etwas von Ihnen
bestellen?«
    »Tun Sie ihnen nicht weh«, bat sie. »Tun Sie, was
Sie wollen, aber tun Sie ihnen nicht weh.«
    »Davon war nie die Rede. Aber Sie kennen ja die Gemeinden
dort oben. Sehr antikirchlich eingestellt. Sehr verschlossen. Sehr
misstrauisch, wenn sie den Eindruck haben, die Kirchen könnten
sich einmischen.«
    »Wenn Sie meinen Eltern etwas antun«, sagte sie,
»werde ich mich rächen.«
    Grelier legte das Röhrchen in den Koffer zurück und
klappte den Deckel zu. »Das werden Sie schön bleiben
lassen. Sie brauchen mich nämlich. Der Dekan ist ein
gefährlicher Mann, und seine Verhandlungen sind ihm sehr
wichtig. Wenn er auch nur den leisesten Verdacht hegte, Sie
könnten nicht die sein, als die Sie sich ausgeben, oder Sie
hätten seine Gespräche mit den Ultras in irgendeiner Weise
gefährdet… ich möchte mir gar nicht ausmalen, wie er
darauf reagieren könnte.« Er hielt inne und seufzte, als
hätten sie einfach einen schlechten Start gehabt, aber wenn er
noch einmal zum Anfang des Gesprächs zurückginge,
würde alles gut. »Sehen Sie, das Problem besteht nicht nur
für Sie, sondern auch für mich. Ich traue Ihnen ganz und
gar nicht. Ihr Blut sieht verdächtig fremd aus, so als
hätten Sie keine Vorfahren auf Hela. Dafür könnte es
eine harmlose Erklärung geben, aber solange ich nicht mehr
weiß, muss ich das Schlimmste annehmen.«
    »Und das wäre?«
    »Dass Sie ganz und gar nicht sind, wer oder was Sie zu sein
behaupten.«
    »Und warum ist das ein Problem für Sie,
Generalmedikus?« Sie weinte jetzt. Die Erkenntnis, dass Harbin
tot war, hatte sie so schwer getroffen, wie sie es immer erwartet
hatte.
    »Weil ich Sie zu ihm gebracht habe«, fauchte er.
»Weil es meine geniale Idee war, Sie mit dem Dekan
zusammenzubringen. Jetzt frage ich mich, was, zum Teufel, ich
uns da ins Haus geholt habe. Wenn er jemals davon erfährt, werde
ich vermutlich ebenso viel Ärger bekommen wie Sie.«
    »Ihnen wird er nichts tun«, sagte Rachmika. »Er
braucht Sie doch, wer soll ihn sonst am Leben erhalten?«
    Grelier stand auf. »Hoffen wir, dass Sie Recht haben. Vor ein
paar Minuten wollten Sie mich noch davon überzeugen, dass er
einen Todeswunsch hat. Und jetzt wischen Sie sich die Tränen
ab.«
     
    Rachmika fuhr allein durch das Buntglaslicht mit dem Fahrstuhl
nach oben. Sie weinte, und je mehr sie sich bemühte, damit
aufzuhören, desto reichlicher flossen die Tränen. Sie
suchte sich einzureden, sie sei so aufgewühlt, weil sie soeben
von Harbins Tod erfahren hätte. Tränen wären eine
anständige, menschliche, schwesterliche Reaktion gewesen. Aber
insgeheim wusste sie, dass es weniger um ihren Bruder ging als um sie
selbst. Sie spürte, wie Schichten ihres Ichs sich lösten,
abfielen wie trockener Schorf und wie darunter die blutige Wahrheit
zum Vorschein kam, was sie war und immer gewesen war. Die Schatten
hatten Recht gehabt: Daran zweifelte sie nicht mehr. Auch Grelier
hätte keinen Grund gehabt, sie wegen ihres Blutes zu
belügen. Die Entdeckung hatte ihn ebenso erschüttert wie
sie selbst.
    Harbin tat ihr Leid. Aber noch viel mehr bedauerte sie Rachmika
Els.
    Was hatte das alles zu bedeuten? Die Schatten hatten von Maschinen
in ihrem Kopf gesprochen; Grelier hielt es sogar für
unwahrscheinlich, dass sie auf Hela geboren war. Aber ihre
Erinnerungen sagten, sie sei das Kind einer Familie im Ödland
von Vigrid, die Schwester eines Jungen mit Namen Harbin. Sie nahm
sich ihre Vergangenheit vor und begutachtete sie mit dem
Raubvogelblick eines Experten, der eine Fälschung
argwöhnte. Sie inspizierte jedes Detail und suchte nach einem
Riss, einer schwachen Trennlinie, wo etwas anderes darüber
gekleistert worden war. Doch ihre jüngsten Erinnerungen
verschmolzen nahtlos mit den früheren. Alles, woran sie sich
erinnerte, hatte die unverwechselbare Struktur gelebter Erfahrungen.
Sie sah es nicht nur mit dem geistigen Auge: Sie hörte, roch und
spürte es, es hatte die schmerzhafte, greifbare Unmittelbarkeit
von Realität.
    Bis sie weit genug zurückging. Neun Jahre, hatten die
Schatten gesagt. Und nun schwand die Gewissheit. Sie hatte
Erinnerungen an ihre ersten acht Jahre auf Hela, aber die wirkten
zusammenhanglos: eine Reihe von anonymen Schnappschüssen. Es
mochten ihre Erinnerungen sein; doch ebenso gut könnten sie
jemand anderem gehören.
    Aber vielleicht, dachte Rachmika, erlebte man die Kindheit aus der
Erwachsenenperspektive immer so: eine Hand voll

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