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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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kreuzten.
    »Genug gesehen, Scorpio?«, fragte Vasko.
    »Wohl schon«, sagte er.
    »Sie haben Ihre Meinung immer noch nicht
geändert?«
    »Wohl nicht.«
    »Sie hatten Recht, Scorp. Daran besteht kein Zweifel.«
Vasko sah zu der Schlange an der Abfertigung zurück. »Jetzt
ist uns das allen klar. Dennoch haben Sie falsch gehandelt. Das
Risiko war viel zu groß.«
    »Der Captain war offenbar anderer Ansicht. Er hat Sie
überrascht, nicht wahr?«
    Vaskos Zögern war Antwort genug. Dabei war Scorpio selbst
nicht weniger überrascht gewesen als alle anderen. Als Vasko das
hypometrische Geschütz abfeuerte, hatte es planmäßig
reagiert. Aber die Zielvorgabe war geändert worden.
    Die Waffe hatte das Shuttle nicht zerstört, sondern mit
chirurgischer Präzision den Teil herausgeschnitten, wo sich die
Wolfsmaschinen festgesetzt hatten. Der Captain hatte sich Scorpios
Ansicht angeschlossen: Das Shuttle war keine Wolfsattrappe, sondern
ein menschliches Schiff, das in geringem Maß mit Wolfsmaschinen
verseucht war. Es musste mit einer winzigen Saat begonnen haben,
sonst hätten die Maschinen das Shuttle verschlungen, bevor die
Retter es erreichten. Aber der Captain hatte erkannt, dass es noch
Hoffnung gab, und hatte die Zielvorrichtung der Waffe manipuliert.
Damit hatte er verraten, dass er die inneren Prozesse des Schiffes in
sehr viel höherem Maße kontrollieren konnte, als
irgendjemand ahnte.
    Vasko zuckte die Achseln. »Wir müssen das nur
langfristig in unsere Planungen mit einbeziehen. Es ist nicht so, als
könnten wir nicht damit umgehen. Das Schiff nimmt immer noch
Kurs auf Hela, nicht wahr? Selbst der Captain hat eingesehen, dass
das unser Ziel sein muss.«
    »Passen Sie nur auf, dass Sie es sich nicht mit ihm
verderben«, warnte Scorpio. »Sonst könnte es hier
ziemlich ungemütlich werden.«
    »Der Captain ist kein Problem.«
    »Ich auch nicht, jetzt nicht mehr.«
    »Es braucht nicht so zu laufen, Scorpio. Die Entscheidung
liegt ganz bei Ihnen.«
    Ja, es lag bei ihm: Er konnte aus medizinischen Gründen das
Kommando abgeben, er konnte auch in den Kälteschlaftank
zurückkehren und damit seine Würde retten. Was hatte
Valensin gesagt? Beim nächsten Mal stünden die Chancen,
wieder lebend herauszukommen, noch fünfzig zu fünfzig. Doch
selbst wenn ihn der Tank nicht umbrächte, wäre er ein Wrack
und hätte sein Leben sozusagen nur der Eigendynamik seiner
Körperchemie zu verdanken. Mit einem weiteren Abstecher in den
Tank würde er die statistischen Grenzen vollends sprengen.
    »Sie wollen immer noch nicht zugeben, dass dies Meuterei
ist?«, fragte er.
    »Dummes Zeug«, sagte Vasko. »Wir schätzen
Ihren Rat als Kolonie-Ältester nach wie vor. Das hat niemand je
bestritten. Dem Namen nach bleiben Sie unser Führer. Nur eben
eher in beratender Funktion.«
    »Ich darf den Stempel unter die politische Strategie setzen,
die Sie mit Urton und dem Rest der Bande beschlossen haben?«
    »Das hört sich entsetzlich zynisch an.«
    »Ich hätte Sie ertränken sollen, als ich die
Gelegenheit dazu hatte«, sagte Scorpio.
    »So sollten Sie nicht reden. Ich habe von Ihnen ebenso viel
gelernt wie von Clavain.«
    »Sie haben Clavain nur einen Tag lang gekannt,
Junge.«
    »Und wie lange kannten Sie ihn, Scorp? Zwanzig, dreißig
Jahre? Auch das ist, verglichen mit seiner Lebensspanne, nicht der
Rede wert. Glauben Sie, der Unterschied ist irgendwie von Bedeutung?
Einigen wir uns darauf, dass ihn keiner von uns kannte.«
    »Mag sein, dass ich ihn nicht kannte«, sagte
Scorpio, »aber ich weiß, dass er dieses Shuttle hätte
andocken lassen, genau wie ich.«
    »Sie haben wahrscheinlich Recht«, sagte Vasko.
»Trotzdem wäre es ein Fehler gewesen. Auch er war
nämlich nicht unfehlbar. Nicht umsonst nannte man ihn den
Schlächter von Tharsis.«
    »Das heißt, Sie hätten auch ihn
abgesetzt?«
    Vasko überlegte, dann nickte er. »Auch er wäre zu
alt geworden. Manchmal müssen die alten Äste eben
abgeschnitten werden.«
     
    Aura besuchte ihn noch einmal, bevor man ihn wieder schlafen
legte. Sie stand mit geschlossenen Beinen und gefalteten Händen
vor ihrer Mutter. Khouri strich ihr das Haar glatt und brachte den
Pony in Form. Beide waren weiß gekleidet.
    »Es tut mir Leid, Scorpio«, sagte Aura. »Ich wollte
nicht, dass sie dich abschieben.«
    Er wollte wütend werden, sie mit Worten verletzen, aber er
brachte es nicht über sich. Im Grunde wusste er, dass nichts von
alledem ihre Schuld war. Sie hatte nicht um die Dinge gebeten,

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