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Offenbarung

Offenbarung

Titel: Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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Ginnungagap-Spalte. Vasko wusste nur zu gut, wie die
Einheimischen diese Spalte nannten.
    Der Weg schien an der Absolutionsschlucht zu enden. Auf der
anderen Seite, vierzig Kilometer entfernt, ging die Straße
weiter. Dazwischen gähnte ein vierzig Kilometer breiter,
scheinbar bodenloser Abgrund. Erst als die Fähre ein klein wenig
höher gestiegen war und das Licht in einem bestimmten Winkel
einfiel, konnte man die Brücke erkennen. Sie wirkte
lächerlich zart, so filigran, als hätte Gott sie soeben mit
seinem Odem erschaffen.
    Vasko schaute zur Kathedrale zurück. Die schien sich noch
immer nicht von der Stelle zu rühren, aber die Landmarken, die
noch vor wenigen Minuten neben ihr gewesen waren, lagen jetzt knapp
dahinter. Sie kroch so langsam dahin wie eine Schnecke, aber sie war
auch nicht aufzuhalten.
    Und die Brücke sah wahrhaftig nicht so aus, als könnte
sie das Gewicht der Kathedrale tragen.
    Er öffnete die sichere Verbindung zu einem
größeren Shuttle im Orbit. Es würde sein Signal zur Sehnsucht nach Unendlichkeit weiterleiten, die immer noch im
parkenden Schwarm wartete.
    »Hier spricht Vasko«, sagte er. »Wir haben mit Aura
Kontakt aufgenommen.«
    »Habt ihr etwas erreicht?«, fragte Orca Cruz.
    Vasko sah Khouri an. Sie nickte stumm.
    »Wir haben etwas erreicht«, sagte er.

 
Sehnsucht nach Unendlichkeit,
parkender Schwarm, 107 Piscium

2727
     
     
    Scorpio kam zu sich und spürte, dass er diesmal noch
länger geschlafen hatte. Heftiger chemischer Protest
durchflutete sein System, seine Zellen ließen sich nur
widerwillig bewegen, die Schinderei des Stoffwechsels wieder
aufzunehmen. Lustlos wie verärgerte Arbeiter griffen sie zu
ihren Werkzeugen, scheinbar fest entschlossen, sie bei der leisesten
Provokation endgültig aus der Hand zu legen. Sie waren in diesem
einen Leben mehr als genug schikaniert worden. Willkommen im Club, dachte Scorpio. Das Management war auch nicht gerade
glücklich über die Situation.
    Behutsam tastete er sich zu seinen Erinnerungen vor. Die Episode
im Yellowstone-System war noch sehr präsent. Er hatte gesehen,
was die Wölfe angerichtet hatten – Yellowstone und seine
Habitats ein Trümmermeer, das ganze System ausgebrannt. Auch den
Streit um die Flüchtlinge hatte er nicht vergessen. Er hatte den
Kampf gewonnen – man hatte das Shuttle an Bord gelassen –,
aber den Krieg hatte er offenbar verloren. Man hatte ihn vor die Wahl
gestellt: Entweder gab er das Kommando ab und begnügte sich mit
der Rolle des passiven Beobachters, oder er legte sich wieder in den
Tank. Im Grunde war das Ergebnis in beiden Fällen das gleiche:
Er verschwand von der Bildfläche und überließ Vasko
und seinen Verbündeten die Leitung des Schiffes. Aber wenn er im
Kälteschlaf lag, brauchte er zumindest nicht daneben zu stehen
und zuzusehen. Es war nur eine kleine Entschädigung, aber in
dieser Phase seines Lebens war man auch für Kleinigkeiten
dankbar.
    Und jetzt wurde er endlich wieder geweckt. Sein Ansehen mochte
noch ebenso geschädigt sein wie vor der Versetzung in den
Kälteschlaf, aber wenigstens konnte er jetzt so etwas wie eine
Landschaft genießen.
    »Und?«, fragte er, während Valensin die
üblichen Tests durchführte. »Wieder einmal von der
Schippe gesprungen?«
    »Ihre Überlebenschancen waren immer ausgeglichen,
Scorpio, aber das macht Sie nicht unsterblich. Wenn Sie noch einmal
in dieses Ding steigen, kommen Sie nicht mehr heraus.«
    »Sie sagten, beim nächsten Mal hätte ich noch eine
Chance von zehn Prozent.«
    »Ich wollte Sie nur aufmuntern.«
    »Ist es schlimmer?«
    Valensin zeigte auf den Kälteschlaf tank. »Wenn Sie da
noch einmal hineinklettern, können wir die Kiste gleich schwarz
anstreichen und Griffe anschrauben.«
    Auch wenn er Valensins Angewohnheit berücksichtigte, immer
alles ›positiv‹ zu sehen, war sein Gesundheitszustand alles
andere als gut. In mancher Beziehung war es, als hätte er gar
nicht im Tank gelegen; als hätte der Zahn der Zeit heimlich an
ihm genagt, ohne sich um die vermeintlich aufschiebende Wirkung der
kryogenen Stasis zu kümmern. Seh- und Hörvermögen
hatten weiter nachgelassen. Am Rand seines Blickfeldes sah er fast
gar nichts mehr, und selbst von vorne betrachtet erschienen Dinge,
die früher scharf gewesen waren, jetzt körnig und
trüb. Ständig musste er Valensin auffordern, lauter zu
sprechen, um das Geräusch der Klimaanlage zu
übertönen. Das war bisher nicht nötig gewesen. Beim
Gehen ermüdete er schnell und hielt

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