Offenbarung
gelogen, und das hatte
schwer wiegende Gründe. Er wollte mehr als nur die Erlaubnis,
eine harmlose Untersuchung von Haldora durchzuführen.
Da war er: der kritische Moment.
»Ich denke, er war einigermaßen aufrichtig«, sagte
Rachmika.
»Tatsächlich?«, fragte der Dekan.
»Er war nervös«, sagte sie. »Er hoffte, Sie
würden nicht zu viele Fragen stellen, aber nur deshalb, weil er
möchte, dass sein Schiff den Auftrag bekommt.«
»Seltsam, dass er sich so sehr für Haldora interessiert.
Die meisten Ultras sind nur auf Handelsprivilegien aus.«
»Sie haben doch gehört, was er sagte: Der Markt ist
zusammengebrochen.«
»Das erklärt immer noch nicht, was er an Haldora
findet.«
Rachmika trank einen Schluck Tee, in der Hoffnung, damit ihr
Gesicht verbergen zu können. Sie selbst war im Lügen bei
weitem nicht so erfolgreich wie im Aufdecken von Unwahrheiten.
»Spielt das denn wirklich eine Rolle? Sie schicken doch Ihre
Vertreter auf das Schiff. Wenn den Ultras ein Haufen Adventisten im
Nacken sitzt, können sie keine krummen Dinger drehen.«
»Da war noch etwas«, sagte Quaiche. Nachdem es keine
Besucher mehr einzuschüchtern gab, hatte er die Sonnenbrille
wieder auf den Lidspreizer gesetzt. »Ich kann nur nicht so
recht… doch, jetzt weiß ich es wieder. Haben Sie bemerkt,
wie er Sie immer wieder angesehen hat? Und die Frau ebenfalls? Das
war merkwürdig. Die anderen hatten kaum einen Blick für
sie.«
»Ist mir nicht aufgefallen«, sagte sie.
Im Orbit um Hela
2727
Vasko spürte, wie er schwerer wurde, als die Fähre
zurück in den Orbit jagte. Das Schiffchen änderte seinen
Kurs. Nun sah er auch die Morwenna wieder. Nur wirkte sie
jetzt – anders als beim Anflug – winzig klein wie ein
Spielzeug. Die große Kathedrale stand alleine auf dem
Seitenast, der vom Ewigen Weg abzweigte, so weit von den
anderen entfernt, als wäre sie wegen einer unverzeihlichen
Ketzerei in die Eiswüste verbannt worden, ausgestoßen aus
der Hauptfamilie der Kathedralen. Vasko wusste, dass sie sich
bewegte, aber von hier oben sah es aus, als sei sie fest in der
Landschaft verwurzelt und drehe sich mit Hela. Immerhin brauchte sie
zehn Minuten, um eine Strecke ihrer eigenen Länge
zurückzulegen.
Neben ihm saß Khouri. Er sah sie an. Sie hatte kein Wort
mehr gesprochen, seit sie die Kathedrale verlassen hatten.
Ein merkwürdiger Gedanke schoss ihm durch den Kopf. Der ganze
Aufwand, den die Kathedralen mit den ständigen Umrundungen
entlang des Äquators trieben, sollte lediglich sicherstellen,
dass Haldora immer im Zenit stand und ohne Unterbrechung beobachtet
werden konnte. Und das wiederum war nur nötig, weil Hela eine
Winzigkeit zur gebundenen Rotation fehlte. Hätte der Mond diesen
Zustand erreicht und Haldora immer dieselbe Seite zugewendet, dann
wäre alles viel einfacher gewesen. Alle Kathedralen hätten
sich an einem Ort sammeln und Wurzeln schlagen können. Sie
bräuchten nicht unaufhörlich in Bewegung zu bleiben, und
der Ewige Weg wäre ebenso überflüssig wie das
schwerfällige System der Gemeinden, die einerseits die
Kathedralen versorgten, aber auch von ihnen lebten. Das alles
ließe sich mit einer kleinen Korrektur der
Rotationsgeschwindigkeit ändern. Der Mond war wie eine Uhr, die
fast richtig ging. Er brauchte nur einen winzigen Schubs, um vollends
synchron zu ticken. Wie viel? Vasko ging die Zahlen im Kopf durch, er
konnte nicht ganz glauben, was dabei herauskam. Helas Tag
bräuchte nur um ein Zweihundertstel verlängert zu werden.
Nur zwölf Minuten von vierzig Stunden.
Er fragte sich, wie viele sich wohl ihren Glauben bewahren
könnten, wenn sie das wüssten. Denn wenn Haldora in
irgendeiner Weise ein Wunder war, warum sollte der Schöpfer dann
bei der Einrichtung von Helas täglicher Rotation über eine
Kleinigkeit von zwölf Minuten in vierzig Stunden gestolpert
sein? Es war ein offenkundiges Versehen, ein Zeichen kosmischer
Schlamperei. Nicht einmal das. Vasko korrigierte sich. Ein Zeichen
kosmischer Vergesslichkeit. Das Universum wusste nicht, was hier
vorging. Es wusste es nicht und kümmerte sich nicht darum. Es wusste nicht einmal, dass es nichts wusste.
Wenn es einen Gott gäbe, dachte er, dann gäbe es keine
Wölfe. Sie hatten mit Himmel und Hölle nicht das Geringste
zu tun.
Die Fähre entfernte sich in weitem Bogen von der Kathedrale.
Vor der Morwenna erstreckte sich die raue, ungeebnete Bahn des Ewigen Weges. Aber schon bald stieß sie an die dunkle
Leere der
Weitere Kostenlose Bücher