Offenbarung
Hela
2727
Im Maschinenraum schwangen die Kuppelstangen hin und her, als
wollten sie Hauptmann Seyfarth begrüßen. Er schritt, die
behandschuhten Hände hinter dem Rücken verschränkt,
durch die Halle. Als Hauptmann der Kathedralengarde rechnete er nicht
mit einem herzlichen Empfang durch die eher mechanistisch denkenden
Maschinentechniker. Sie hegten keine instinktive Abneigung gegen ihn,
aber sie hatten ein langes Gedächtnis, und es waren von jeher
Seyfarths Leute gewesen, die Rebellionen unter dem technischen
Personal der Morwenna niederschlugen. Im Augenblick waren
auffallend wenige Techniker in der Halle, aber im Geist ergänzte
Seyfarth das Bild durch die herumliegenden Leichen und die Verletzten
des letzten »Schiedsverfahrens«, wie die Behörden den
Zwischenfall genannt hatten. Glaur, der Schichtleiter, nach dem er
jetzt suchte, hatte nie direkt mit der Rebellion in Verbindung
gestanden, aber bei ihren seltenen Begegnungen war deutlich geworden,
dass auch Glaur kein Freund der Kathedralengarde und ihres Hauptmanns
war.
»Ach, Glaur«, sagte Seyfarth, als er den Mann neben
einer offenen Zugangsklappe entdeckte.
»Hauptmann. Was für ein Vergnügen.«
Seyfarth trat vor die Klappe. Aus der Öffnung hingen
Drähte und Kabel wie vorquellende Gedärme. Seyfarth zog die
Klappe so weit herunter, dass sie die Eingeweide zur Hälfte
verdeckte. Glaur wollte etwas sagen – obwohl jeder Protest
sinnlos war –, aber Seyfarth legte abwehrend den Finger an die
Lippen. »Was immer es ist, es kann warten.«
»Sie haben keine…«
»Ziemlich ruhig hier drin.« Seyfarth sah sich um. Die
Maschinen waren unbeaufsichtigt, die Laufstege leer. »Wo sind
denn Ihre Leute?«
»Das wissen Sie doch ganz genau«, sagte Glaur. »Sie
haben die Mor verlassen, sobald sie konnten. Am Ende wurden
Druckanzüge für einen Jahreslohn verkauft. Ich habe nur
noch eine Notmannschaft, gerade genug Männer, um den Reaktor am
Laufen zu halten und die Maschinen zu schmieren.«
»Wer jetzt geht…«, überlegte Seyfarth. Es war
in der ganzen Kathedrale zu beobachten: Selbst die Garde hatte
Mühe, den Exodus aufzuhalten. »… verstößt
doch gegen seinen Arbeitsvertrag, nicht wahr?«
Glaur sah ihn ungläubig an. »Das ist den Leuten
scheißegal, Hauptmann. Die wollen nur von dieser Kiste
herunter, bevor wir die Brücke erreichen.«
Seyfarth spürte die Angst des Mannes. Sie umgab ihn wie ein
Hitzeschleier. »Sie glauben also nicht, dass wir es
schaffen?«
»Und Sie?«
»Der Dekan sagt, wir schaffen es. Wie kämen wir dazu, an
ihm zu zweifeln?«
»Ich habe meine Zweifel«, zischte Glaur. »Ich
weiß, was beim letzten Mal passierte, und wir sind
größer und schwerer. Wir kommen mit dieser Kathedrale
nicht über die Brücke, Hauptmann, auch wenn uns der
Generalmedikus noch so sehr mit Blut voll pumpt.«
»Dann kann ich ja von Glück reden, dass ich nicht auf
der Morwenna sein werde, wenn es so weit ist«, sagte
Seyfarth.
Glaur spitzte die Ohren. »Sie gehen auch?«, fragte
er.
Ob Glaur sich einbildete, er wollte ihn zur Rebellion anstiften?,
dachte Seyfarth. »Ja, aber ich habe einen Auftrag für die
Kirche zu erfüllen. Er wird mich so lange fern halten, bis die
Brücke überquert wurde – oder nicht. Was haben Sie
vor?«
Glaur schüttelte den Kopf und strich über sein
schmutziges Halstuch. »Ich bleibe, Hauptmann.«
»Aus Loyalität zum Dekan?«
»Eher zu meinen Maschinen.«
Seyfarth legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ich bin
beeindruckt. Und Sie denken sicher auch nicht daran, die Kathedrale
vom Weg herunterzusteuern oder die Motoren zu
sabotieren?«
Glaurs Zähne blitzten auf. »Ich bin hier, um meine
Arbeit zu tun.«
»Auch um dafür zu sterben?«
»Vielleicht springe ich im letzten Moment noch ab. Aber die
Kathedrale bleibt auf dem Weg.«
»Braver Mann. Ich möchte trotzdem ganz
sichergehen.«
Glaur sah ihm fest in die Augen. »Wie meinen,
Hauptmann?«
»Bringen Sie mich zur Sicherungsschaltung, Glaur.«
»Nein.«
Seyfarth packte ihn an seinem Halstuch und hob ihn hoch. Glaur
rang nach Luft und trommelte mit den Fäusten gegen die Brust des
Hauptmanns.
»Bringen Sie mich zur Sicherungsschaltung«, wiederholte
Seyfarth, ohne die Stimme zu erheben.
Die Privatfähre des Generalmedikus setzte automatisch zur
Landung an und ging auf einem bleistiftdünnen Fusionsstrahl
nieder. Grelier hatte eine kleine verwahrloste Landeplattform am Rand
der Vigrid-Siedlung gewählt. Der Untergrund war
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