Offene Rechnungen
ein weiterer Blick in seelische Abgründe, den Frank sich und anderen Menschen gerne erspart hätte.
»Was denken Sie jetzt?«
Esther hatte automatisch einen Trampelpfad vom Zentrum zum Kanal hinunter eingeschlagen und Frank war wortlos gefolgt. Seine Rendsburger Kollegin hatte sich am Fähranleger nach rechts gewandt und schritt seit einigen Minuten kräftig aus. Angesichts des kalten Windes ein sinnvolles Unterfangen, um sich warmzuhalten. Allerdings hegte Frank gewisse Zweifel, dass es seiner Kollegin nur darum ging.
»Ich weiß noch nicht genau, was mich mehr erschüttern sollte. Mein eigene Blindheit bei den Befragungen oder das unglaubliche Verhalten des Ehepaares Sonntag sowie dieser Monika Landau.«
Der Verlauf der Ermittlung ließ mittlerweile echte Zweifel bei Esther aufkommen, ob sie die richtige Frau für diesen Beruf war. Solange sie mit Ralph zusammengearbeitet hatte, war ihr so ein Zweifel nie gekommen. Doch es lag nicht an Frank Reuter, sondern an den bisher offenbar sehr einfachen Fällen, mit denen sie zu tun gehabt hatte. Es war Ralph gewesen, der sie zum Wechsel vom Streifendienst in den Kriminaldienst animiert hatte. Vielleicht hatte ihr toter Kollege sich ja doch in Esthers Fähigkeiten getäuscht und nun erhielt sie die Quittung.
Esther haderte wie erwartet mit sich selbst und gleichzeitig mit dem Verhalten der Zeugen. Ein Zustand, den Frank nur zu gut kannte. Es erinnerte ihn an seine Anfänge bei der Kriminalpolizei, denn er war von Beginn an mit der harten, realistischen Seite des Berufes konfrontiert worden.
»Menschen verhalten sich selten so, wie es vernünftig wäre. Um ihr Verhalten erkennen zu können und so auch die vielen versteckten Lügen in Zeugenaussagen, bedarf es sehr viel Routine. Sie lernen es, Esther. Versprochen.«
Frank lächelte seiner Kollegin aufmunternd zu, die seinen Blick mit einem schwachen Lächeln quittierte.
»Sind Sie sich da so sicher?«
»Ja, Esther. Das bin ich. Unsicher bin ich mir nur darin, ob es Ihnen gefallen wird. Es kann leider zu Zynismus oder wenigstens Sarkasmus führen. Das wünsche ich Ihnen aber nicht.«
Frank fiel kein weiteres, aufbauendes Argument ein. Er empfand sich erneut als der unpassende Mann für diese Aufgabe. Er konnte einer Anfängerin wirklich nichts beibringen. Nicht, weil Esther unbegabt gewesen wäre. Sie war eine gute Polizistin, nur er der falsche Ausbilder!
»Immerhin haben wir heute Abend zwei offene Fragen klären können«, kam es nach einer Weile von der Oberkommissarin.
Sie hatten das Ende des Plattenweges erreicht, der an einem kleinen Hügel endete. Ein Sandweg führte weiter, aber ohne Absprache drehten die beiden Kriminalbeamten sich um und gingen den gleichen Weg wieder zurück. Da sie nun den Wind mehr im Rücken hatten, wurde es angenehmer und Frank zog den geschlossenen Reißverschluss seiner Lederjacke ein Stück hinunter.
»Ja. Wir wissen jetzt, wer wirklich das Licht angelassen und wieso der Van von Monika Landau am Zentrum gestanden hat. Wie schätzen Sie eine mögliche Täterschaft der beiden ein?«
Esther Helmholtz schaute einem kleinen Küstenmotorschiff hinterher, das mit leise tuckerndem Dieselmotor in Richtung Kiel-Holtenau durch den Kanal fuhr. Auf dem Heck stand der Name Möwe Drei und der Heimathafen Bremerhaven. Eine einsame Gestalt lehnte an der Reling und das gelegentliche Aufglühen in Kopfhöhe verriet, dass der Matrose eine Zigarette rauchte. Einen Moment glitten ihre Gedanken von der Fragestellung ab und sie überlegte, wie so ein Leben auf einem Schiff wohl aussah. Dann zwang sie sich zurück in die Gegenwart und formulierte ihre Überlegungen laut.
»Wir können nicht ausschließen, dass Ralph den beiden aus anderen Gründen gefolgt ist und dabei überrascht wurde. Wer weiß? Vielleicht ist die Liebesaffäre noch nicht alles, was Monika Landau und den Ehemann von Heike Sonntag miteinander verbindet. Nein, als Mörder können wir sie noch nicht ausschließen«, lautete die klare Aussage der Rendsburgerin.
Frank sah sich in der fachlichen Einschätzung seiner Kollegin bestätigt. Esther Helmholtz hatte absolut das Zeug zu einer erstklassigen Ermittlerin. Es blieb seine Aufgabe, ihr möglichst viel Rüstzeug im Verlaufe der Ermittlungen mitzugeben.
»Sehe ich genauso, Esther. Wir werden die morgige Befragung dazu nutzen, um dem Liebespaar ein wenig stärker auf den Zahn zu fühlen. Wir werden sie getrennt vernehmen. Übernehmen Sie Monika Landau?«
Sie hatten zwischenzeitlich wieder den
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