Offene Rechnungen
Zeigefinger gegen den Oberarm stieß, zuckte Juliane erschrocken zusammen.
»Gilt das auch für dich, Jule? Wirst du dich ab sofort aus den Ermittlungen heraushalten?«
»Na, klar. Versprochen, Esther. Ihr habt jetzt ja eine heiße Spur, auch wenn ihr noch einen Weg zur Nutzung der Informationen finden müsst.«
Esther sah die Psychologin forschend an, die den Blick aus treuherzig blickenden blauen Augen erwiderte. Ganz sicher war die Oberkommissarin sich bei dem Rotschopf nicht, akzeptierte aber die Zusage. Sie umarmte ihre Freunde zum Abschied und eilte dann ins Gebäude zurück. Schon auf der Treppe in den ersten Stock waren ihre Gedanken ausschließlich mit der Verwertung der Informationen beschäftigt. Die Spur mit den Designersachen war tatsächlich vielversprechend, also mussten sie einen Weg finden, um den Hinweisen folgen zu können. Esther trat in ihr Büro und schaute zur offenen Durchgangstür von Reuters Büro, als von dort ein Ruf ertönte.
»Esther? Kommen Sie bitte rein. Ich habe möglicherweise eine Idee, wie wir unsere Hinweise in Bezug auf die Regionalschule belegen können.«
Gespannt folgte Esther der Aufforderung und setzte sich auf den einen Besucherstuhl vor Reuters Schreibtisch. Der Kieler Hauptkommissar hatte offenbar kurz vor ihrem Eintreten ein Telefonat geführt, da er sich hastig einige Notizen machte.
KAPITEL 15
Esther hatte Mühe, die neuen Informationen zu verarbeiten. Ariane hatte also tatsächlich eine Affäre mit einem Kollegen gehabt? Unfassbar. Dadurch ergab sich ein starkes Motiv für einen Mord an Ralph, was Esther unumwunden einräumen musste. Mit diesem letzten Puzzelteilchen hatte der Hauptkommissar alle Indizien für eine Abgabe des Falles an die Staatsanwaltschaft beisammen.
»Bevor wir mit Wolter über die neue Entwicklung sprechen, möchte ich der Sache mit der Designerkleidung nachgehen«, zeigte Reuter sich jedoch noch nicht bereit für diesen Schritt.
Esther horchte überrascht auf. Ihr Kollege legte offenbar größten Wert darauf, keine Spur außer Acht zu lassen. Womit mögliche Bedenken wegen einseitiger Ermittlungen ad absurdum geführt wurden.
»Ja, aber wie? Wir könnten Ariane dazu befragen. Immerhin ist es möglich, dass sie während ihrer Tätigkeit als Lehrerin an der Regionalschule etwas bemerkt hat. Auch wenn es ihr bisher noch nicht bewusst geworden ist«, schlug Esther vor.
Reuter hatte den gleichen Gedankengang verfolgt und dann angesichts einer einfacheren Möglichkeit wieder verworfen.
»Das wäre eine Idee, aber dazu müssten wir nach Neumünster fahren. Ich möchte viel lieber Robert Harmsen dazu befragen, der genauso über Beobachtungen verfügen müsste.«
Esther sah nach kurzer Überlegung ein, dass Reuter mit seinem Gegenvorschlag die bessere Alternative gefunden hatte. Sie diskutierten einige Minuten über das erforderliche Vorgehen, dann einigten sie sich auf einen Überraschungsbesuch. Ein einfacher Anruf im Sekretariat der Regionalschule reichte aus, um über den Unterrichtsplan des Sportlehrers informiert zu sein.
»Wir haben Glück, Esther. Harmsen hat zurzeit noch Unterricht in einer Leistungsklasse für Mathematik. Dann wollen wir dem Herrn mal eine kleine Überraschung bereiten.«
Die beiden Beamten meldeten sich ab und fuhren im Passat zum Schulgelände. Im Gegensatz zu den früheren Besuchen waren nur noch wenige Schüler und Lehrer anwesend, wie ein Blick über den Parkplatz und zu den Fahrradständern belegte. Esther fragte einen aus dem Gebäude eilenden Schüler nach der Mathematikleistungsklasse und wurde zu einem Raum im rechten Seitentrakt verwiesen. Zusammen mit Hauptkommissar Reuter suchte sie den passenden Raum und nachdem sie ihn gefunden hatten, lehnten die beiden Beamten sich abwartend an eine Fensterbank.
»Dieser Geruch. Für mich verbindet sich echt nichts Gutes damit. Na, ja. Abgesehen von Frederike.«
Esther warf ihrem Kollegen einen erstaunten Seitenblick zu, woraufhin Frank ein wehmütiges Lächeln aufsetzte.
»Frederike ist meine Tochter. Meine Frau und ich leben aber getrennt und ich sehe meine Lütte nur selten.«
Esther hatte sich bisher wenig Gedanken über sein Privatleben gemacht, wie sie beschämt feststellte.
»Wir alt ist Ihre Tochter denn?«
»Noch vierzehn. Im Juni wird sie fünfzehn und trotzdem bleibt sie immer meine Lütte.«
Esther hätte gerne mehr über die Tochter von Frank erfahren, doch ein dreifacher Gong hallte durch die Gänge und fast zeitgleich flog die Tür zum Klassenzimmer auf.
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