Offene Rechnungen
Geschenk der Oma oder Ähnliches.«
Frank registrierte das Einlenken und spürte auch, dass der Lehrer ihnen immer noch nicht alles mitgeteilt hatte.
»Namen, Herr Harmsen. Welche Schüler tragen besonders häufig solche teure Kleidung, obwohl ihr familiärer Hintergrund nicht dazu passt?«
Robert reagierte instinktiv, wie ein in die Enge getriebenes Tier. Seine Gedanken schlugen Purzelbäume und er konnte seine Antworten nicht vorbereiten, so wie beim letzten Gespräch mit dem Hauptkommissar.
»Miriam Sonntag. Aber, sie ist nur eine von mehreren Schülern!«
Dass er einen fatalen Fehler gemacht hatte, wusste Robert bereits, kaum dass er den Namen genannt hatte. Dazu hätte er nicht einmal den vielsagenden Blick bemerken müssen, den die beiden Kriminalbeamten austauschten. Doch dann bahnte sich ein klarer Gedanke seinen Weg durch das Chaos in seinem Kopf. Die Polizei hatte offenbar bereits Miriam Sonntag im Visier gehabt. Wie waren sie nur auf dieses Mädchen gekommen?
»Na, also. Sie hätten sich früher mit dieser Information an uns wenden sollen, Herr Harmsen. Ist das wirklich alles, was Sie uns zu dem Handel mit gestohlenen Designerkleidung sagen können?«
Robert traute seiner eigenen Stimme nicht mehr, daher nickte er lediglich zur Frage des Hauptkommissars. Als die beiden Beamten sich kurz darauf verabschiedeten und nicht weiter auf Robert eindrangen, taumelte er voller ungläubiger Erleichterung gegen die Tafel. Gegen jede Vernunft war er nochmals mit dem Schrecken davongekommen. Doch die Ermittlungen hatten jetzt schon zu oft seine Kreise berührt und es wurde Zeit, die gefährlichen Verbindungen zu kappen. Robert stieß sich von der Tafel ab, packte seine Tasche und rannte fast aus dem Gebäude.
*
Juliane hatte nur einen Termin an diesem Mittwoch gehabt und sich daher kurzerhand zu einem Besuch von Ariane Wiese in der JVA entschlossen. In einem Telefonat mit dem behandelnden Arzt hatte sie erklärt, dass sie die Therapeutin von Ariane sei und auch während der Untersuchungshaft die Sitzungen fortführen wolle. Der Arzt hatte sich die Zeit für die Prüfung ihrer Angaben erbeten und bereits eine knappe halbe Stunde später über Telefon, sein Einverständnis erklärt.
»Hallo Ariane. Sie sehen besser aus, als ich erwartet hätte.«
Juliane begrüßte die zierliche Frau herzlich und erntete für die freundliche Eröffnung ein warmes Lächeln. Dabei hatte Juliane nicht einmal schwindeln müssen, denn die Frau des ermordeten Polizisten sah erholter als vor ihrer Inhaftierung aus.
»Danke für die Blumen, Juliane. Sie hätten sich aber nicht auf den weiten Weg hierher machen müssen oder können Sie die zusätzlichen Kilometer mit der Beihilfestelle abrechnen?«
Eine erstaunliche Überlegung angesichts ihrer schwierigen Lage, die Juliane weiteren Respekt abnötigte. Die Lehrerin mit den rehbraunen Augen und der knabenhaften Figur verbarg ihr Potenzial verblüffend gut. Sie tauschten die ersten Minuten Nettigkeiten aus, mieden aber das Thema der Haft. Juliane wusste jedoch, dass es zur Sprache kommen musste. Nicht um ihre persönliche Neugier zu befriedigen, sondern um die seelische Belastung ihrer Patientin ehrlich einschätzen zu können.
»Wie geht es Ihnen mit der Inhaftierung, Ariane? Können Sie so schlafen oder benötigen Sie Schlafmittel dazu?«
Ein wehmütiges Lächeln huschte über das herzförmige Gesicht.
»Es war fast schwerer, draußen mit der Belastung fertig zu werden. Wissen Sie, solange ich frei durch Rendsburg laufen konnte, spürte ich die unausgesprochenen Vorwürfe der Menschen. Daher bin ich meistens zu Hause geblieben. Aber hier im Gefängnis betrachtet man mich eben nur als eine weitere mutmaßliche Verbrecherin.«
Verblüfft lauschte Juliane der seltsamen Begründung, die auf eine verquere Art jedoch nachvollziehbar war. Insgesamt bestätigte sich ihr erster Eindruck. Ihre Patientin wirkte gefestigter, was Juliane einige Hoffnung machte.
»Fühlen Sie sich stark genug, um mir heute mehr über die Probleme innerhalb Ihrer Ehe zu berichten?«
Gespannt verfolgte sie das Mienenspiel von Ariane, die einen Moment den Blick durch das Fenster des Besucherzimmers schickte und offensichtlich eigenen Gedanken nachhing. Schließlich kehrte der Blick zurück zu Juliane und ein seltsames Lächeln umspielte die Lippen.
»Ein einziges Mal habe ich mich hinreißen lassen, Juliane. Warum? Keine Ahnung. Oder, halt. Das ist gelogen. Bei Ralph und mir hatte sich über die Jahre mehr und mehr
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