Offene Rechnungen
Jugendliche stürmten laut durcheinander redend aus dem Raum, warfen den beiden Beamten nur wenig interessierte Blicke zu. Diese jungen Menschen lebten in einer eigenen Welt, wo Erwachsene wie Esther und Frank bestenfalls als Störobjekte vorkamen. Schließlich waren auch die Nachzügler aus dem Klassenraum verschwunden und Esther sah Robert Harmsen, der mit routinierten Bewegungen die Notizen von der Tafel wischte. Noch hatte er die Anwesenheit der beiden Kripobeamten nicht bemerkt, was Esther einen Moment der stillen Beobachtung einräumte. Sie versuchte sich Ariane mit dem drahtigen Sportlehrer im Bett vorzustellen und zu ihrer Verblüffung fiel es ihr leicht. Ralph Wiese war nicht so sehr der sportliche Typ gewesen, alles in allem eher durchschnittlich. Das hatte er aber durch seine Wärme und Zuverlässigkeit ausgeglichen, was ihn in Esthers Augen zum idealen Ehemann gemacht hatte. Robert Harmsen war da mehr der Typ für eine Affäre. Eigentlich konnte sie Ariane sogar ein wenig verstehen, verscheuchte den Gedanken jedoch schnell wieder.
»Hallo, Herr Harmsen.«
Bei Franks Anruf fuhr der Lehrer erschrocken herum und Verwirrung stand in seinen Augen. Frank meinte sogar, einen Anflug von Panik darin lesen zu können. Was ließ den Mann dermaßen erschrocken zusammenfahren? Er hatte doch längst die Affäre mit der Kollegin eingeräumt.
»Oh, hallo Herr Reuter. Frau Helmholtz. Richtig?«
Robert kämpfte mit aller Macht die aufsteigende Panik hinunter, schluckte mühsam. Waren die Polizisten ihm doch noch auf die Schliche gekommen? Nein! Unmöglich. Trotzdem blieb ein starkes Gefühl von Unbehagen, während Robert die letzten Kreidezahlen von der grünen Tafel wischte. Er ließ sich mehr Zeit als notwendig, um so sein Gleichgewicht zurückzugewinnen. Dann legte er den feuchten Schwamm in die Ablage unterhalb der Tafel und wandte sich um.
»Sie haben noch Fragen?«
Esther registrierte die zitternden Finger und das leichte Vibrieren in der Stimme des Lehrers. Ganz offensichtlich machte ihr überraschendes Erscheinen dem Lehrer mächtig zu schaffen. War es nur das schlechte Gewissen wegen der Affäre mit der Kollegin, weshalb er so reagierte? Frank schloss die Tür zum Gang und setzte sich mit einer Pobacke auf ein Pult in der ersten Reihe.
»Ja, haben wir. Es gibt interessante Hinweise, zu denen wir Sie befragen müssen. Was wissen Sie über den Handel mit gestohlener Designerkleidung an dieser Schule?«
Frank wollte die angeschlagene Psyche des Lehrers ausnutzen und steuerte daher direkt auf das Ziel los. Die Reaktion des Lehrers fiel reichlich heftig aus. Der Unterkiefer von Harmsen verkrampfte sich und ungesunde Bleiche überflutete das Gesicht.
»Wie bitte? Gestohlene Designerkleidung, die an unserer Schule gehandelt wird?«
Robert erwog allen Ernstes eine Flucht. Zwischen der Tür und ihm stand nur die Oberkommissarin, die er leicht zur Seite stoßen konnte. Es kostete ihn unmenschliche Überwindung, diesem ersten Impuls nicht nachzugeben. Sie kamen ihm näher mit den Ermittlungen, doch noch stocherten sie offensichtlich im Nebel herum.
»Allerdings, Herr Harmsen. Nun? Was können Sie uns darüber erzählen?«
Frank setzte beharrlich nach. Allein die heftige Reaktion des Lehrers reizte seine Instinkte. Ganz offensichtlich wusste Harmsen mehr, auch wenn er sich noch zierte.
»Nicht viel, Herr Hauptkommissar. Natürlich gibt es immer wieder Gerüchte über solche Dinge, genauso wie über das so genannte Abziehen von Schülern. Konkretes kann ich dazu aber nicht aussagen. Ehrlich nicht!«
Mit seinem Versuch, die Beamten vom Thema abzulenken, indem er auf die unschöne Form der räuberischen Erpressung unter Jugendlichen einging, weckte Robert Harmsen auch Esthers Instinkte. Ohne weitere Absprache drängte sie auf den Lehrer ein.
»Das glaube ich Ihnen nicht, Herr Harmsen! Da Sie häufig als Aufsichtsperson an Schulausflügen teilgenommen haben, müssten Sie doch etwas mitbekommen haben. Sie sollten lieber mit uns kooperieren, Herr Harmsen. Was wissen Sie?«
Robert spürte förmlich, wie die Polizistin ihn im übertragenen Sinne an die Wand drückte. Mit schlichtem Leugnen würde er sich nicht mehr herauswinden können.
»Na, gut. Natürlich ist mir bei einigen Schülern aufgefallen, dass sie im Verhältnis zu ihren finanziellen Mitteln viel zu teure Kleidung tragen. Hier und da habe ich auch mit den Schülern darüber gesprochen, aber es gab immer nur ausweichende Antworten. Nach dem Motto, die Jeans wäre ein
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