Offene Rechnungen
Eingreifen von Esther und Frank verhinderte Schlimmeres. Während Frank die tobende Pächterin von ihrem Mann wegzerrte, zog Esther den nahezu wehrlosen Reinhard vom Tisch weg.
»Du Mistkerl hast deine eigene Tochter zu einer Hehlerin gemacht?«, brüllte Heike mit sich vor Wut überschlagender Stimme.
Längst waren die Mitarbeiter und wenigen Gäste auf das Drama aufmerksam geworden. Sogar Fußgänger der nahe gelegenen Straße waren stehen geblieben und sahen zu der Gruppe am Holztisch hinüber.
»Nein, verdammt noch mal! Miriam hat mich doch mit hineingezogen!«
Heike wollte erneut auf ihren Mann losgehen, doch Frank hielt sie eisern fest.
»Erzählen Sie endlich die ganze Geschichte, Herr Sonntag. Wen haben Sie damals in der Küche erwischt, als er die Kartons dort verstauen wollte?«, herrschte Frank ihn an.
»Na, Robert. Robert Harmsen, den Sport- und Mathelehrer von Miriam.«
Esther schaute Reinhard Sonntag ungläubig an, dann ging ihr Blick zum Kollegen. Frank spürte einen Augenblick totale Verwirrung, da er mit dieser Eröffnung so gar nicht gerechnet hatte. Sekundenlang schwiegen alle, bevor Heike sich mit einem leisen Schluchzen aus Franks Umklammerung löste und schwer auf die Holzbank niedersank.
»Harmsen hat unsere Tochter zur Hehlerei angestiftet? Aber, er ist doch ihr Lehrer?«
Nackte Verzweiflung schwang in Heikes Stimme mit, was Esther sehr gut nachvollziehen konnte. Mit dieser Wendung hatten auch sie und ihr Kollege schwer zu kämpfen.
»Wo befindet sich Miriam jetzt? Ist sie zu Hause?«
Frank wollte unbedingt mit dem Teenager sprechen und auf diesem Wege eine Bestätigung der neuen Wendung des Falles erhalten. Hatte er die ganze Zeit den Mörder in einer völlig falschen Ecke gesucht? Was, wenn Harmsen der Mörder von Ralph Wiese war?
»Nein. Sie wollte sich mit Cindy, ihrer besten Freundin treffen«, kam die Antwort von Heike Sonntag.
»Können Sie Miriam über deren Handy erreichen?«
Esther hatte urplötzlich ein sehr ungutes Gefühl, angesichts der Entwicklung des Falles. Heike nickte und zog ein Mobiltelefon aus der Tasche ihrer Fleecejacke. Sie tippte eine Nummer ein und lauschte eine Weile.
»Hallo, Cindy. Miriams Mutter hier. Ist Miriam bei dir? Kann ich sie bitte kurz sprechen?«
Alle Augen waren auf Heike gerichtet, jeder versuchte ihr Mienenspiel zu enträtseln.
»Was sagst du? Bitte, Cindy! Es ist sehr wichtig, dass du mich nicht anschwindelst. Hörst du?«
Esther ahnte, welcher Freundschaftsdienst soeben von Cindy geleistet wurde und griff ein. Sie nahm Heike kurzerhand das Handy ab und meldete sich.
»Cindy? Oberkommissarin Helmholtz von der Kriminalpolizei. Sag mir bitte, wo Miriam sich befindet. Es könnte sein, dass deine Freundin sich in großer Gefahr befindet.«
Frank glaubte seinen Ohren nicht zu trauen, als Esther so sprach. Was trieb seine Kollegin denn da? Doch statt sich einzumischen, ließ er Esther gewähren. Es war offensichtlich, dass die Oberkommissarin einer Ahnung nachging. Wenn Harmsen tatsächlich der Mörder von Ralph Wiese war, dann würde ihm ein zweiter Mord leichter fallen. War es das, was seine Kollegin zum Handeln trieb? Bei diesem Gedanken spürte Frank, wie seine Zunge ganz trocken wurde. Himmel, das durfte auf keinen Fall passieren! Miriam sollte nicht als lästige Mitwisserin aus dem Leben treten.
»Mit wem trifft sie sich? Wann und wo?«
Jetzt hingen alle Blicke an Esther, die hastig das Gespräch beendete.
»Wie bewegt Miriam sich normalerweise? Mit dem Fahrrad oder dem Bus?«
Bei Esthers Frage tauschten die Eltern einen erschrockenen Blick aus.
»Miriam hat einen Motorroller, mit dem sie fährt. Was ist mit ihr? Mit wem trifft sie sich?«, reagierte Reinhard Sonntag auf die Frage.
»Sie ist mit Robert Harmsen im Freibad verabredet. Jetzt, in diesem Augenblick.«
»Aber das Freibad hat doch noch gar nicht geöffnet«, protestierte Heike.
Frank erfasste die Zusammenhänge und teilte nunmehr die bösen Vorahnungen seiner Kollegin.
»Wir fahren hin! Alarmieren Sie Pietschmann. Er soll ebenfalls hinfahren, aber ohne Musik.«
Esther rief den uniformierten Kollegen über Handy an und gab die Anweisung weiter. Sie machte Gerd eindringlich klar, weshalb eine stille Annäherung von lebenswichtiger Notwendigkeit war. Sie führte das Telefonat im Laufen, da Frank das Ehepaar Sonntag zum Aufbruch gedrängt hatte. Als die kleine Gruppe durchs Foyer rannte, schauten neben einigen Mietern auch Ilona Specht, Simon Vester und eine verblüffte Juliane Wagenknecht zu
Weitere Kostenlose Bücher