Ohne Beweis (German Edition)
dann fiel ihr ein Name ein, den sie zwar schon lange nicht mehr kontaktiert hatte, der aber vielleicht misstrauisch werden könnte und vielleicht, aber wirklich nur vielleicht, versuchen würde, sie zu erreichen, um Näheres zu erfahren. Dieser Mensch war nämlich noch viel neugieriger als sie selbst. Schon von Berufswegen, wenn er auch nicht mehr im Dienst war.
Obwohl Johann sie misstrauisch beobachtete, versuchte sie sich gleichgültig und gelassen zu geben. Er musste das Gefühl haben, dass sie genau seinen Anweisungen folgte. Nachdem er ihren Text gelesen und für in Ordnung befunden hatte, wollte er natürlich wissen, wem sie die Nachricht zukommen lassen wollte. Ohne zu stocken, sagte sie, sogar wahrheitsgemäß:
„Meinem Bruder.“ Er musste ja nicht wissen, dass sie schon seit Jahren keinen Kontakt mehr zu ihrem Bruder Rainer hatte. Sie hatten sich wegen dem elterlichen Erbe zerstritten, doch sie konnte sich vorstellen, dass er sehr erstaunt über ihre Nachricht sein würde. Hoffentlich hatte er immer noch diese Handynummer. Als ehemaliger Privatdetektiv würde er ganz sicher der Sache nachgehen und wenn sie Glück hatte, war er in seinem Job noch so gut wie früher. Nichtsahnend schickte Johann die Nachricht kurze Zeit später ab. Für die Frau im düsteren Mostkeller begann nun eine weitere Zeit des Wartens, Hoffens und Bangens und sie versuchte so intensiv wie möglich an ihren Bruder zu denken. Warum hatten sie sich nur wegen dem blöden Geld so zerstritten? War es das wert gewesen, deshalb den Kontakt zum einzigen Bruder gänzlich abzubrechen? Wenn sie genauer darüber nachdachte, war er es zwar gewesen, der nach dem plötzlichen Unfalltod der Eltern und den Erbstreitigkeiten nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte. Aber sie konnte doch auch nichts dafür, dass die Eltern verfügt hatten, dass sie das Haus bekam und er nur seinen Pflichtteil. Sie hatten einfach nicht geglaubt, dass er mit seiner Detektei würde Fuß fassen und wirklich Geld verdienen können. Dass er dann ein sehr guter und weithin geachteter Ermittler werden würde, hatten sie leider nicht mehr miterlebt. Vielleicht war es jetzt wirklich an der Zeit, wieder zueinander zu finden? Nachdem er jetzt im Ruhestand war und sie das Haus hatte verkaufen müssen, da sie es nach ihrer Scheidung alleine nicht mehr hatte halten können? Ihr Bruder musste einfach spüren, dass etwas nicht in Ordnung war – er musste einfach!
15
„Was hast du gesagt, Mama?“, rief Nora in ihr Handy. Sie war auf dem Ausstellungsstand ihrer Messermanufaktur bei der Messermesse in München und musste etwas zur Seite treten, denn sie konnte ihre Mutter bei dem Stimmengewirr hier kaum verstehen.
„Dieser Kamil ist gestern Abend spät noch weggegangen, aber anscheinend nicht mehr zurückgekommen. Zum Frühstück ist er jedenfalls heute früh nicht erschienen und da hab ich gegen elf Uhr mal nachgeschaut. Er war nicht da und wohl auch nicht in seinem Bett gewesen“, sagte Delfina mit einem ärgerlichen Unterton. Sie war schon nicht begeistert gewesen, als Nora diesen polnischen Arbeiter angeschleppt hatte. Und dass er hier in Ottenbach nach seiner Arbeit ums Rathaus noch Urlaub machen wollte, konnte sie nicht so recht glauben. Zugegeben, man konnte schöne Wanderungen machen und es war hier sehr idyllisch, aber so ganz alleine hier Urlaub zu machen? Nein, das konnte sie sich irgendwie nicht recht vorstellen. Den Machern der neuesten Tourismusbewegung hier im Raum Göppingen hätte es allerdings gefallen, dass jemand hier Urlaub machen wollte.
„Das ist aber komisch“, wunderte sich auch Nora. „Er wollte doch auf mich warten“, sagte sie und wusste im gleichen Moment, dass dies ein unüberlegter Ausspruch gewesen war. Sofort wollte Delfina wissen, warum Herr Rodzinsky auf Nora hätte warten sollen.
„Ich … ich … ich wollte ihm den Glaubensweg zeigen“, stotterte Nora, denn so schnell fiel ihr nichts Besseres ein.
„Aha“, machte Delfina nur. „Bist du jetzt unter die Fremdenführer gegangen?“
„Nein, das nicht, aber der Kamil hat Ahnenforschung betrieben und irgendeiner seiner Vorfahren hat mal hier gelebt. Er wollte einfach noch ein paar Tage hierbleiben. Ist doch nichts Ungewöhnliches, oder?“, fragte Nora und hoffte inständig, dass sich ihre Mutter damit zufriedengeben würde. Um Nora nicht weiter von ihrer Arbeit abzuhalten, meinte Delfina nur noch:
„Soll ich irgendwas unternehmen, um ihn zu
Weitere Kostenlose Bücher