Ohne Beweis (German Edition)
Dieser elende Mistkerl! Mit tränenüberströmtem Gesicht warf sich Nora hinters Steuer ihres Käfers und fuhr los – einfach nur weg und es kümmerte sie überhaupt nicht, dass hier in Göppingen so viele Einbahnstraßen waren, dass man sich schon ohne Liebeskummer kaum zurecht fand. Zum Glück waren zu so später Stunde nicht mehr viele Autos in den engen Gässchen unterwegs und Nora kam unbeschadet raus aus der Stadt. Sie fuhr jedoch noch nicht gleich nach Hause, sondern hielt oben zwischen Hohenstaufen und Rechberg am Aasrücken an. Dort an der kleinen Parkbucht konnte man bequem anhalten und seinen Blick zu beiden Seiten des Kammes schweifen lassen. Entweder hinunter ins Ottenbacher Tal oder in Richtung Schwäbisch Gmünd und Maitis. Nora hätte heute eine tolle klare Sicht gehabt, wenn ihre Augen durch die Tränen nicht so verschleiert gewesen wären. Was sollte sie jetzt nur tun? Wie sollte sie sich ihm gegenüber verhalten? Hatte sie vielleicht doch überreagiert und es war alles ganz anders, als es aussah? Aber was sollte sie schon von einem Freund halten, der den Abend lieber mit seiner Chefin in den Armen verbrachte als bei seiner Freundin zu Hause? Nein, sie würde ihn nicht (zumindest nicht sofort) nach seinem Verhältnis zu seiner Chefin fragen. Sie würde ihn erst mal zappeln lassen und sie wusste auch schon, wie sie das anfangen würde. Gleich morgen würde sie bei ihrer Familie Urlaub einreichen und wegfahren. Und dann wäre sie erst einmal ein paar Tage einfach weg. Sie war schließlich erwachsen und niemandem Rechenschaft darüber schuldig, wohin sie in den Urlaub fuhr.
34
„So … komm … nur noch ein kleines Stück den Berg rauf, dann du hast es geschafft!“, sagte ich langsam wie zu einem kleinen Kind und schob Eva (inzwischen hatte ich mich an ihren neuen Namen schon gewöhnt) immer weiter den steilen Berg hinauf. Meine kleine Hütte, die ich meist nur im Sommer aufsuchte, lag inmitten eines kleinen Wäldchens, jedoch auf einem Hügel, sodass das letzte Stückchen recht steil nach oben führte. Mit einem verstauchten Knöchel ging das natürlich recht beschwerlich und ich hoffte inständig, dass nichts gebrochen war. Ich wollte Eva auf keinen Fall in ein Krankenhaus bringen – es musste einfach auch so wieder heilen! Wenn sie erst in meiner Hütte war und sich ausruhen konnte, würde es ihr sicher bald wieder besser gehen. Das Problem war nur, dass ich noch gar keine Vorräte heraufgeschafft hatte, denn so war das alles ja nicht geplant gewesen. Irgendwie musste ich ihr klar machen, dass ich nochmal weg und sie aber dort alleine bleiben musste. Aber mit ihrer Verletzung und ihrer Müdigkeit würde sie sowieso nicht weit kommen oder erst gar nicht versuchen, abzuhauen. Warum sollte sie auch? Ich war doch ihr liebender Ehemann und wir waren auf dem Weg zu unserer Sommerresidenz, als sie diesen schrecklichen Unfall hatte. Zumindest hatte ich es ihr so erklärt und sie hatte es geglaubt – es schien mir jedenfalls so, denn sie hatte nichts weiter darauf gesagt.
„Karsten … bitte … ich kann nicht mehr!“, japste Eva plötzlich und ließ sich einfach auf den steinigen Trampelpfad fallen. Das kam so unerwartet, dass ich sie nicht mehr auffangen konnte und ebenfalls mit zu Boden ging. Da lagen wir nun wie zwei gestrandete Wale und hielten uns in den Armen. Wenn die Situation nicht so ungeheuerlich gewesen wäre, hätte ich sie sicher genießen können. So aber saß ich wie auf glühenden Kohlen, denn dieser Weg hier war zu dieser Tages- und Jahreszeit meist gut besucht, erst ein Stück weiter oben ging ein kleiner Trampelpfad ab und führte zu unserem Privatgrundstück. Dieses kleine Stückchen hätte sie doch noch schaffen können, verdammt! Wir mussten hier weg bevor uns wieder jemand auflauern konnte. Vorhin hatten wir einfach nur Glück gehabt, dass eine Gruppe Wanderer auch noch an uns vorbeigekommen war und die Jugendlichen von Eva abgelassen hatten. Sie waren ihr bereits bedrohlich nahe gekommen, doch sie war nicht mal aufgewacht! Zum Glück, denn diese Kerle hätten ihr bestimmt einen großen Schrecken eingejagt, wenn nicht noch Schlimmeres.
„Komm hoch, Eva! Wir müssen weiter – ist nicht mehr weit“, gurrte ich ihr ins Ohr, da sie schon wieder drohte, einzuschlafen. „Komm jetzt! Los – hoch mit dir!“, rief ich nun gegen ihre Müdigkeit an und zerrte sie wieder in die Senkrechte. Mühsam schaffte ich es, sie die letzten Meter zur Abzweigung zu schleifen
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