Ohne Beweis (German Edition)
lassen, doch beiden war klar, dass es besser war, wenn sie den Rettungsleuten den Weg wies.
„Was sollen wir jetzt eigentlich mit Kamil machen, Joska? Immerhin hat er Carmen und mich eingesperrt. Das ist doch Freiheitsberaubung und außerdem hat er Carmen geschlagen und sie mit dem Messer bedroht. Wenn du nicht gekommen wärst – wer weiß, zu was der noch alles im Stande gewesen wäre. Wenn es um die Geschichte seines Vaters geht, wird er richtiggehend besessen!“
Noras Stimme war immer leiser geworden, das viele Reden hatte sie zu sehr angestrengt. Das merkte sogar Joska, dem selbst immer seltsamer zumute wurde. Er war so müde und er hatte überall Schmerzen. Doch er riss sich zusammen und redete weiter auf Nora ein.
„Nicht einschlafen, Liebling. Du musst wach bleiben! Rede mit mir! Erzähl mir, wie du Kamil und Carmen gefunden hast!“
„Ich kann nicht“, nuschelte Nora nur. „Bin sooo müde, Joska.“
„Ich weiß, Noraschätzle“, murmelte Joska und verfiel sogar ins Schwäbische, nur um Nora aufzuheitern, doch diese schien ihn gar nicht mehr zu hören. Sie antwortete nicht mehr und auch Joska gab den Kampf auf, unbedingt wachbleiben zu wollen.
62
„Wo bin ich?“, fragte Nora benommen, als sie aufgewacht war und sich in einem sterilen, weißen Bett wiedergefunden hatte. Müde schaute sie sich um und sah dann eine blasse Frau im Nebenbett liegen. Erst beim zweiten Hinsehen erkannte sie Carmen, deren Fuß in einer Schiene lag und seitlich aus der Bettdecke herausragte. Auch Nora war es sehr warm – es war drückend heiß in diesem Zimmer. Dass sie im Krankenhaus lag, war ihr inzwischen klar geworden. Doch was genau passiert war, daran konnte sie sich nur noch vage erinnern.
„Haben die hier keine Klimaanlage?“, jammerte Nora mit Blick in Carmens Richtung, doch diese schlief tief und fest.
„Was wohl mit Joska und Kamil los ist?“, fragte Nora laut, obwohl sie bemerkt hatte, dass Carmen wohl nicht antworten würde. Nora schaute besorgt an sich herunter, doch außer ein paar blauen Flecken und Schürfwunden schien sie unverletzt zu sein. Erst als sie versuchte sich aufzusetzen, spürte sie überall am Körper stechende Schmerzen und sie geriet in Panik.
„Was ist mit mir? Warum ist hier niemand?“, schrie sie und drückte dann irgendeinen Knopf an der Klingel, die über ihrem Bett hing. Es dauerte jedoch eine ganze Weile, bis eine Schwester zu ihr kam.
„Bin ich schwer verletzt?“, fragte Nora aufgeregt, doch die Schwester drückte sie nur sanft, aber bestimmt in ihre Kissen zurück.
„Proszę zatrzymać kłamstwo. Wezmę kogoś, kto mówi po niemiecku“, sagte sie freundlich, doch Nora verstand natürlich kein Wort. Die Sprache kam ihr aber irgendwie vertraut vor und so langsam dämmerte ihr, dass sie immer noch in Polen war. Dadurch kam auch die Erinnerung zurück und Nora wusste plötzlich wieder, warum sie nach Polen gefahren, wen sie gesucht und schließlich auch gefunden hatte. Auch was in der Hütte passiert und dass diese eingestürzt war, kam in Erinnerungsfetzen zurück. Wie sie jedoch hier im Krankenhaus gelandet war, daran konnte sie sich beim besten Willen nicht mehr erinnern.
Die freundliche Schwester hatte ein paar Verbände gewechselt und Nora hatte einen Blick auf ihre zahlreichen Wunden erhaschen können – kein schöner Anblick und sie konnte sich gut vorstellen, dass da ein paar eindrucksvolle Narben zurück bleiben würden. In diese düsteren Gedanken hinein kam ein junger Pfleger gutgelaunt ins Zimmer gerauscht und lächelte sie freundlich an:
„Endlich aufgewacht, die hübsche Dame!“, sagte er ziemlich laut. Er nahm überhaupt keine Notiz von Carmen, setzte sich sogar auf Noras Bettkante und strahlte sie an. Diese fühlte sich bemüßigt, zu antworten und das tat sie dann, indem sie ihn fragte, ob sie schlimme Verletzungen hätte, da ihr der ganze Körper irgendwie wehtun würde.
„Das sind nur Quetschungen, Prellungen und Schürfwunden. Nichts weiter“, sagte der Pfleger nur lapidar und Nora grinste schief:
„Wenn`s weiter nichts ist …“ Sie hätte gerne gelacht, doch auch das schien ihr nicht gut zu tun. „Sind Joska und Kamil auch hier?“, fragte sie dann noch besorgt und hielt den Atem an. Was würde nun für eine Antwort kommen?
„Sie meinen Joska Kiss – lustiger Name, übrigens – und Kamil Rodzinsky?“
„Ja genau. Die beiden meine ich. Mein Freund … also der Joska … hat seine
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