Ohne Chef ist auch keine Loesung
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Denkzettel
Lieber Chef!
Heute möchten wir, Ihre Mitarbeiter, Sie freundlich daran erinnern, dass Sie verpflichtet sind, Arbeitsbedingungen zu schaffen,
die uns und unsere Gesundheit schützen. Ihr Gerede hintenherum allerdings schadet unserer psychischen Gesundheit! Also denken
Sie bitte daran: Sie haben sich im Rahmen unseres Arbeitsverhältnisses um den Schutz unserer Ehre und unserer Menschenwürde
zu kümmern. Das heißt konkret, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um Benachteiligungen – wie Mobbing oder Belästigung
– von uns abzuwenden. Sie selbst dürfen keinen von uns benachteiligen und sind verpflichtet, gegen Kollegen, von denen eine
Benachteiligung ausgeht, vorzugehen.
|157| Ihre Fürsorgepflicht beginnt mit der Anbahnung unseres Arbeitsverhältnisses und besteht auch noch nach dessen Beendigung –
so müssen Sie weiterhin fair bleiben und jedem von uns unter anderem ein korrektes Arbeitszeugnis ausstellen.
Sollten Sie dagegen verstoßen, kann das gravierende zwischenmenschliche und sogar rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.
Danke!
Wie Sie ins Büro hineinrufen …
»Der hat gesessen!«, rufen Sie erfreut.
Doch nun, liebe Mitarbeiter, nachdem Sie sich Ihre Rechte hinter die Ohren geschrieben haben, packen Sie sich an die eigene
Nase und lesen noch ein paar Passagen aus dem Tagebuch der Chefin, das uns schon öfter Aufschluss gegeben hat. Dass die Mitarbeiter
selbst nicht ganz unschuldig sind an einer vertrauenslosen Arbeitsatmosphäre, das klang ja gerade schon an. Schauen wir, wie
es damit so aussieht.
|159| So sieht also die Chefin die Situation. Und diese Sicht ist nicht ganz unberechtigt.
Natürlich ist es nicht immer leicht, im Umgang mit dem Vorgesetzten fair zu bleiben. Das wissen wir aus eigener Erfahrung,
und wir erleben es tagtäglich durch unsere Klientinnen und Klienten. Er verkörpert immerhin für viele Mitarbeiter all das,
was sie am Arbeitsleben stört: Er gibt ihnen Aufträge, setzt Termine, kontrolliert sie, verbessert sie, gibt ihnen zu wenig
Geld, zu wenig Anerkennung, zu viel Arbeit. Kurz: Er beschränkt ihre Freiheiten. Und Freiheitsbegrenzer mögen wir nicht, das
liegt in unserer menschlichen Natur und ist so sicher wie das Amen in der Kirche.
Kein Wunder, dass der Chef da schnell zum Feindbild wird, an dem die Mitarbeiter kein gutes Haar lassen. Wer nicht in der
Kantine mit den anderen über ihn herzieht, wer nicht alles, was der Chef sagt oder tut, unmöglich findet – der macht sich
im Kollegenkreis schnell verdächtig und wird ausgestoßen. Sobald das Wort »Chef« fällt, herrscht kollektives Augenverdrehen.
Was auch immer der Chef unternimmt – es ist grundsätzlich falsch und wird auf dem Flur zunichtegemacht. Immer mehr Internetforen
bieten die Möglichkeit, anonym (also nicht gerade mit Rückgrat) über den Arbeitgeber herzuziehen – eine Möglichkeit, von der
ganze Belegschaften fleißig Gebrauch machen. Während der Arbeitszeit, versteht sich.
Auf die Frage »Wem gegenüber sind Sie bei der Arbeit am loyalsten?« antworteten bei einer Umfrage des Internet-Stellenportals
monster.de nur 10 Prozent der insgesamt rund 25 000 Befragten mit »Meinem Chef«. Immerhin 19 Prozent sahen sich ihrem Unternehmen
gegenüber verpflichtet. Die höchste Prozentzahl erreichte mit einem Wert von 33 Prozent allerdings die Antwort »Mir selbst«.
|160| Was Mitarbeiter tun können
Wie aber, liebe Mitarbeiter, wollen Sie ernsthaft erwarten, dass Ihnen Ihr Chef den Rücken stärkt, wenn es in der Belegschaft
zum guten Ton gehört, wo immer möglich gegen den Chef zu agieren? Wie soll Ihr Chef sich für Sie einsetzen, wenn
Sie
ihn aus Prinzip und mit Inbrunst hassen? Wenn Sie ihm bestenfalls ignorant gegenüberstehen, schlimmstenfalls aktiv gegen ihn
arbeiten?
Der Chef verkörpert die oben genannten Probleme oft nur, aber weder verursacht er sie, noch kann er sie beheben. Es ist daher
nicht fair, ihn für alles verantwortlich zu machen, was man als störend empfindet. Vielleicht rettet uns ja folgende Differenzierung
– die zwischen »Mensch« und »Funktionsträger/Rolle«: Ein Chef hat nämlich immer zwei Seiten. Am Arbeitsplatz begegnet er seinen
Leuten normalerweise in seiner Rolle als Vorgesetzter. Für sie ist er derjenige, der das Sagen und die Verantwortung hat.
Und manchmal sagt er ihnen eben Dinge, die sie so nicht hören wollen. Und verantwortet bestimmte Prozesse, die sie so
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