Ohne Chef ist auch keine Loesung
wieder aufgeschmissen sein wird.
»Ich fühle mich momentan sehr wohl hier und kann mir durchaus vorstellen, mehr Verantwortung zu übernehmen«, versichert die
erst kürzlich eingekaufte Nachwuchskraft der Chefin beim Mitarbeitergespräch – obwohl sie am nächsten Morgen einen Termin
beim Konkurrenten hat, um heimlich den neuen Arbeitsvertrag zu unterschreiben.
Und vergessen Sie nicht den Tiger-Urin aus Kapitel 5.
Besonders beliebt sind Lügen, um eigene Fehler zu vertuschen und sich dadurch vermeintliche Unannehmlichkeiten zu ersparen.
»Davon wusste ich nichts …« – »Das hat die Kollegin bearbeitet …« – »Das haben Sie doch selbst damals so gesagt, Chef …« –
»Mein Entwurf ist völlig korrekt, weil …«.
Dabei kann es gerade bei eigenen Fehlern wahre Wunder wirken, bei der Wahrheit zu bleiben und Verantwortung zu übernehmen.
Manchmal kann Ihnen die Wahrheit sogar die Haut retten. Ein Mitarbeiter einer PR-Agentur berichtete uns im Coaching:
|148| »Ich hatte einen schweren Fehler gemacht – einer unserer Kunden, ein großes Unternehmen, hatte mir vertrauliche Zahlen gegeben.
Die sollte ich nur intern verarbeiten, als Hintergrundinformation für Gespräche mit der Politik. Aus Versehen schickte ich
diese hochsensiblen Zahlen mit anderen Informationen in einer E-Mail an einen Mitarbeiter in einem Bundesministerium. Es war
wirklich der Super-GAU; mir gefror das Blut in den Adern in dem Moment, als ich den Fehler bemerkte. Zurückholen konnte ich
die E-Mail nicht mehr. Ich wusste: Wenn sich der Kunde darüber bei meinem Chef beschweren würde, dann würde ich meinen Job
sofort verlieren. Ich war ja sogar noch in der Probezeit!
Also ergriff ich die Flucht nach vorne: Ich rief den Hauptabteilungsleiter des Unternehmens persönlich an. ›Mea culpa, meine
Schuld‹, sagte ich gleich am Anfang, ›ich habe einen großen Fehler gemacht.‹ Ich entschuldigte mich in aller Form, erklärte,
dass ich hätte aufmerksamer sein müssen. Dass ich diesen Fehler wohl kaum wiedergutmachen könne. ›Alles, was ich tun kann,
ist, Ihnen mein Versprechen zu geben: So etwas kommt nicht wieder vor.‹
Der Mann am anderen Ende der Leitung lauschte stumm. Als ich fertig war, sagte er unerträgliche Sekunden lang erst einmal
nichts. Schließlich räusperte er sich hörbar bewegt und sagte: ›In meinem ganzen Berufsleben habe ich noch nie erlebt, dass
jemand so klar zu einem Fehler steht.‹ Und nach weiteren quälenden Sekunden: ›Sehen Sie einfach zu, dass Sie denselben Fehler
nicht noch einmal machen, Sie Schussel.‹
Damit war das Gespräch beendet.
Meinem Chef hat der Kunde nie etwas von der Angelegenheit erzählt. Bis heute nicht. Aber ich habe es inzwischen getan. Und
arbeite immer noch hier.«
Was Mitarbeiter tun können
Sie sehen, liebe Mitarbeiter: »Ja, das ist meine Schuld« – ein solcher Satz ist im Arbeitsleben so ungewöhnlich, dass Sie
bereits damit oft schon allen Schimpftiraden der Chefs und Kunden den Wind aus dem Segel nehmen. Wer zu Fehlern steht, fällt
auf und |149| sammelt Sympathiepunkte. »Ach, so schlimm war das gar nicht«, ist die häufigste Reaktion auf Selbstanzeigen. Und nebenbei
erspart Ehrlichkeit viel Stress: Wer die Wahrheit sagt, braucht keine Lüge zu erfinden – und auch keine Folge-Lügen, damit
die erste Lüge nicht auffliegt, und keine Folge-Folge-Lügen, damit die Folge-Lügen nicht auffliegen, und keine …
Nun schlagen wir Ihnen noch eine gute Möglichkeit vor, Ihren Sinn für Realität und Ehrlichkeit zu schärfen: Nehmen Sie sich
ein Blatt Papier und legen Sie darauf eine Tabelle an. In dieser Tabelle vermerken Sie, wenn Sie bei der Arbeit einen Fehler
gemacht haben oder sonst etwas nicht so optimal lief, das in Ihrem Verantwortungsbereich lag. Und weil wir uns selbstverständlich
auf die positive Realität nicht weniger konzentrieren wollen als auf die negative, legen Sie auch eine Spalte für gute Leistungen
an. Oder nutzen Sie einfach die folgende Vorlage, die Sie auch auf www.wenn-der-chef-nervt.de finden.
|150| Diese Liste brauchen Sie sich nicht an die Wand zu hängen – Sie können es natürlich, wenn Sie besonders offensiv mit Ihrer
Selbstanalyse umgehen möchten. Es genügt aber, wenn Sie das Papier in der Schreibtischschublade aufbewahren. Füllen Sie die
Tabelle aus, wann immer Sie dazu Anlass sehen.
Nehmen Sie die Liste nach einem halben Jahr zur Hand und ziehen Sie Bilanz: Wie viele
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