Ohne Chef ist auch keine Loesung
eines bereitet Ihnen Kummer: Die Kollegen sind sehr reserviert. Das geht
teilweise sogar so weit, dass sie wichtige Mitteilungen geheim halten und Sie im Meeting auflaufen lassen. Peinlich und sehr
unangenehm! »Vielleicht sind sie neidisch, weil ich direkt auf einen guten Posten gekommen bin?«, fragen Sie sich.
Einige Wochen und gescheiterte Versuche der direkten Klärung später halten Sie es nicht mehr aus: Im Gespräch mit Ihrem Vorgesetzten
erkundigen Sie sich vorsichtig, wie denn so generell die Kommunikation unter den Kollegen sei. »Schwierig«, antwortet Ihr
Chef und beugt sich vertraulich zu Ihnen vor, »besonders der Herr Müller hat sich gar nicht mehr unter Kontrolle – der ist
ja auch dem Alkohol nicht ganz abgeneigt. Das bleibt natürlich unter uns.«
Zeit verstreicht. Es wird nicht besser. Auf Ihre Frage, welche Möglichkeiten er als Vorgesetzter sehe, raunt der Chef Ihnen
ins Ohr: »Unter vier Augen«, und seine Stimme bekommt einen verschwörerischen Unterton, »hüten Sie sich auf jeden Fall vor
der Frau Meier, die nennt man hier auch die fleischgewordene Informationszentrale der Abteilung. Die zieht jeden durch den
Kakao.«
Ihre leichte Irritation lässt sich nun nicht mehr leugnen. Andererseits reden Sie sich gut zu: »Es ist bestimmt eine Ehre
und sogar ein großer Vertrauensbeweis, dass sich mein neuer Chef so unverhohlen gerade mir anvertraut.« Er kennt Sie ja kaum
und schon weiht er Sie in die intimen Details der Firma ein … »Wenigstens der scheint noch große Stücke auf mich zu halten!«,
denken Sie ein bisschen erleichtert und treten getröstet den Heimweg an.
In den nächsten Monaten kommt es immer wieder zu ähnlichen Gesprächen. Bis Sie schließlich über die gesammelten Abgründe der
versammelten Mannschaft informiert sind. Statt eine Lösung für Ihr Problem zu bekommen. Und allmählich kommen Ihnen |155| Zweifel an der Aufrichtigkeit Ihres Vorgesetzten. Denn nach und nach zeigt sich, dass er es ist, der jeden gerade nicht Anwesenden
durch den Kakao zieht. Kurzer Hinweis: Es handelt sich um eine wahre Geschichte aus unserer Beratungspraxis.
Kurze Frage: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie wie in dieser Geschichte selbst ebenfalls schon einmal Opfer der
Chef-Lästereien geworden sind? Sie dürfte bei weit über 50 Prozent liegen. Genau genommen bei fast 100 Prozent. Es sei denn,
es gibt spezielle Punkte oder ganz besondere Eigenschaften, die einzig Sie dazu qualifizieren, das absolute und uneingeschränkte
Vertrauen Ihres Vorgesetzten zu genießen. Möglicherweise sind gerade Sie ja der einzige Mensch auf Erden, der über sein Verhältnis
mit der Sekretärin informiert ist; und er wiederum befürchtet, Sie könnten ihn zu Hause verpfeifen.
Der Chef, der über seine eigenen Mitarbeiter herzieht, ist leider nicht so selten – wie uns immer wieder aus zahlreichen Unternehmen
berichtet wird. Was zunächst nur nach ein paar unbedachten Worten aussieht, hat verheerende Folgen für Arbeitsklima und Produktivität:
Die Mitarbeiter werden unsicher, denn jeder kann sich mit einem Minimum an Fantasie ausmalen, wie der Chef über ihn selbst
redet, sobald der den Raum verlässt. Und jeder kann sich ausrechnen, dass ein solcher Chef im Ernstfall auch nicht lange zögern
würde, seinen Mitarbeiter etwa einem auftauchenden Krokodil zum Fraß zu überlassen. Und gefräßige Krokodile lauern überall
im Arbeitsleben.
Was Chefs tun können
Vertrauen kann in einer solchen Abteilung nicht entstehen – im letzten Kapitel hatten wir ja bereits festgestellt, dass Vertrauen |156| einen Zustand bezeichnet, in dem man keine Angst davor zu haben braucht, verletzt zu werden. Also kurz gesagt: genau das Gegenteil
der Atmosphäre, die ein Chef schafft, der seinen Mitarbeitern bei jeder Gelegenheit in den Rücken fällt, statt ihnen selbigen
zu stärken.
Es ist schon schädlich genug, wenn Mitarbeiter selbst über Kollegen schlecht reden und sich gegenseitig auflaufen lassen –
dazu werden wir gleich noch kommen. Aufgabe eines guten Chefs ist es, solchen vertrauenszersetzenden Maßnahmen entgegenzuwirken,
anstatt sie dadurch zu adeln, dass er sie selbst vorgibt. Das liegt zum einen in seinem eigenen Interesse – und ist zum anderen
Teil der sogenannten Fürsorgepflicht, die der Arbeitgeber gegenüber seinen Mitarbeitern hat. Weil diese Fürsorgepflicht so
wichtig ist, wollen wir darüber einen kleinen Denkzettel
Weitere Kostenlose Bücher