Ohne ein Wort
Beträge waren mal höher, mal niedriger, aber insgesamt beläuft sich die Summe auf über 40 000 Dollar.«
»Unfassbar!«, sagte Rolly. »Und das hat sie nie zuvor erwähnt?«
»Nein.«
»Von wem war das Geld?«
Ich hob die Schultern. »Genau das ist ja der Punkt. Tess weiß es nicht. Sie meint, dass man die Umschlägevielleicht auf Fingerabdrücke oder DNA -Spuren untersuchen könnte, aber ich bezweifle, dass dabei etwas herauskommt. Na ja, jedenfalls glaubt Tess, dass die Sache mit dem Geld etwas mit dem Verschwinden von Cynthias Familie zu tun hat. Von wem sollte das Geld auch sonst stammen, wenn nicht von ihrer Familie oder jemandem, der sich für das Schicksal ihrer Familie verantwortlich fühlt?«
»Du liebe Güte«, sagte Rolly. »Das ist ja ein dicker Hund. Und Cynthia hat keine Ahnung davon?«
»Nicht die geringste. Aber sie sollte davon wissen, findest du nicht auch?«
»Ja, sicher.« Er hob das Glas zum Mund, trank sein Bier aus und bedeutete der Kellnerin, ihm ein neues zu bringen. »Im Prinzip schon.«
»Was meinst du damit?«
»Na ja, ich sehe die Sache so ähnlich wie du. Okay, du erzählst ihr von der Sache. Aber was dann?«
Ich rührte mit dem Löffel in meiner Muschelsuppe. Irgendwie war mir der Appetit vergangen. »Genau. Es gibt keine Antworten, nur neue Fragen.«
»Und selbst wenn damals noch jemand aus ihrer Familie lebte, heißt das noch lange nicht, dass er oder sie immer noch am Leben ist. Bis wann hat Tess denn Geld erhalten?«
»Bis Cyn ihr Studium abgeschlossen hatte«, sagte ich.
»Wie lange ist das her? Zwanzig Jahre?«
»Nicht ganz.«
Nachdenklich schüttelte Rolly den Kopf. »Beim besten Willen, mein Lieber, ich weiß wirklich nicht, wasich dir raten soll. Nun ja, ich wüsste schon, wie ich an deiner Stelle handeln würde, aber du musst das wohl selbst entscheiden, fürchte ich.«
»Komm schon«, erwiderte ich. »Was würdest du tun?«
Er presste die Lippen zusammen und beugte sich zu mir. »Ich würde mit der Sache hinter dem Berg halten.«
Damit hatte ich nicht gerechnet. »Wirklich?«
»Vorläufig zumindest. Du würdest Cynthia nur belasten. Sie wird unweigerlich denken, dass sie damals etwas hätte unternehmen können, hätte sie von dem Geld gewusst. Sie wird denken, dass sie womöglich ihre Eltern hätte wiederfinden können. Und ob das jetzt noch möglich wäre, steht ja in den Sternen.«
Ich dachte darüber nach. Er hatte recht, fand ich.
»Außerdem wird Cynthia stocksauer auf Tess sein«, fuhr Rolly nach einer kurzen Pause fort. »Gerade jetzt, da Tess mit Gesundheitsproblemen kämpft und auf ihre Unterstützung angewiesen ist.«
»Daran hatte ich noch gar nicht gedacht.«
»Sie wird sich betrogen fühlen. Sie wird Tess vorwerfen, sie hinters Licht geführt, ihr etwas derart Wichtiges vorenthalten zu haben. Sie hatte ein Recht darauf, davon zu erfahren – hat es immer noch, keine Frage. Tja, aber jetzt lässt sich das Ganze nicht mehr rückgängig machen.«
Ich nickte, hielt dann aber inne. »Aber wenn ich ihr jetzt nichts davon erzähle, hintergehe ich sie doch genauso.«
Rolly musterte mich eingehend und lächelte. »Genaudeshalb möchte ich nicht in deiner Haut stecken, mein Lieber.«
Als ich zu Hause ankam, stand Cynthias Wagen in der Einfahrt, am Bürgersteig parkte aber noch ein anderes Auto – ein silberner Toyota, jene Art von anonymem Fahrzeug, das man im Vorübergehen wahrnimmt und einen Moment später wieder vergessen hat.
Als ich ins Haus trat, sah ich Cynthia durch die offene Wohnzimmertür. Sie saß auf der Couch, gegenüber von einem kleinen, gedrungenen, fast kahlköpfigen Mann mit olivfarbenem Teint. Beide erhoben sich, als sie mich bemerkten.
»Hallo, Schatz«, sagte Cynthia mit gezwungenem Lächeln.
»Liebling.« Ich wandte mich dem Unbekannten zu und streckte meine Rechte aus, die er mit festem Griff schüttelte.
»Mr Archer«, sagte er mit sonorer, fast honigsüßer Stimme.
»Das ist Mr Abagnall«, sagte Cynthia. »Er ist Privatdetektiv. Er wird für uns herausfinden, was mit meiner Familie passiert ist.«
FÜNFZEHN
»Denton Abagnall«, sagte der Detektiv. »Ihre Frau hat mir schon eine Menge erklärt, aber ich würde mich freuen, wenn Sie mir ebenfalls ein paar Fragen beantworten könnten.«
»Kein Problem«, sagte ich, bedeutete ihm mit erhobenem Finger, eine Sekunde zu warten, und wandte mich zu Cynthia. »Kann ich mal kurz mit dir reden?«
Sie warf dem Privatdetektiv einen verlegenen Blick zu. »Würden Sie
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