Ohne Ende Leben - Roman
auszuweichen. Die Rosinante hat kein Navi, also müssen wir uns ziemlich oft an einer zehn Jahre alten Straßenkarte orientieren, die im Handschuhfach liegt. Das ist in etwa so, als ob man seinen Weg aus einer Spielzeug-Wahrsagekugellesen würde. Sollten wir diese Straße nehmen?
Ich hab solche Kopfschmerzen. Frag mich später.
Wir rumpeln die Straße entlang, vorbei an hohem Sumpfgras, vorüber an verrosteten Verkehrsschildern, an verfallenen, von wildem Wein überwucherten Kirchen mit zerbrochenen Fensterscheiben, vorüber an Eisenbahngleisen, alten Scheunen und Weiden, auf denen ein oder zwei Pferde gelangweilt herumstehen. So geht das weiter, bis ich überhaupt nicht mehr weiß, wo wir uns befinden. Ich flüstere Dulcies Namen wie ein Gebet.
Mach schon, Dulcie
, sage ich.
Wirf uns einen Knochen zu
. Ein paar Sekunden später ruckelt und zuckelt der Caddy und der Motor stirbt ab.
»Was isn jetzt los?«, fragt Gonzo.
»Ich weiß nicht.« Ich drehe jeden Schalter und drücke jeden Knopf. Die Tankanzeige steht auf halb voll. Ich klopfe mit dem Finger dagegen und der Zeiger fällt auf leer.
»Verdammt!«
»Was ist?« Gonzos Stimme klingt panisch.
»Sprit ist alle.«
»Du verarschst mich!«
»Ich verarsch dich nicht.«
»Genug gefahren. Zeit für die Jagd.« Balder hat wieder seine Wikingerklamotten angezogen, ist ausgestiegen und läuft die Straße weiter, bevor ich ihn zurückhalten kann.
»Was zum Teufel soll das?«, fragt Gonzo.
Ich laufe hinter Balder her. Von der Beifahrerseite her brüllt Gonzo: »Sollten wir nicht die Pannenhilfe rufen oder so was, Alter?«
»Na klar«, rufe ich zurück. »Erzähl ihnen nur, dass die gesuchten Terroristen – auf die zehntausend Dollar Kopfgeld ausgesetzt sind – Benzin brauchen und vielleicht ne Mitfahrgelegenheit in die nächste Stadt.«
»Jetzt sind wir schon ne gute halbe Stunde gelaufen und haben nix gesehn, was uns helfen könnte, nix als das absolute Nichts«, keucht Gonzo. »Und was noch dazukommt: Ich hab ne Riesenblase an meiner Ferse. Blasen können sich bekanntlich entzünden. Daran kannst du sterben.«
»Schau einfach nur nach ner Tankstelle«, sage ich.
»Ich sag gerade, dass ich nicht an einer infizierten Blase sterben will. Das wäre ein wirklich schwacher Abgang.«
Etwa eine halbe Meile weiter gabelt sich die Straße. Ich wische mir den Schweiß von der Stirn und halte eine Hand über die Augen, um nicht geblendet zu werden. »Hat jemand ne Idee, wo lang?«
Balder befragt seine Runen. »Links.«
»Gut. Gehen wir links«, sage ich.
»Bist du sicher?«, fragt Gonzo.
»Nein«, antworte ich. »Ich bin mir über gar nichts sicher. Deshalb ist eine Straße so gut wie die andere.«
Wir laufen auf einem Weg, der nur ein bisschen mehr ist als festgefahrene Erde und der sich einen Hügel hochschlängelt. Schließlich sind wir oben.
»Boah!«, sagt Gonzo.
Am Fuß des Hügels erstreckt sich ein senffarbenes Weizenfeld wie Pinselstriche auf einem Ölgemälde.
Überall sehe ich Windräder, deren Flügel vor dem klaren, blauen Himmel rotieren, als ob sie außerirdische Vögel sind – bereit zum Abflug oder zum Anflug, was auch immer zuerst kommt. Genau in der Mitte stehen ein altes Farmhaus, eine Scheune und irgendwas, das wie eine futuristische Tankstelle aussieht.
Balder kniet andächtig und dankbar nieder. »Die Nornen sind uns gnädig.«
»Großartig. Schauen wir mal, ob sie uns ein bisschen Benzin geben.«
Gonzo ergreift meinen Arm. »Bist du verrückt, Alter? Hast du nicht
Das Motel der lebenden Kettensägen
gesehen?«
»Falls ich Nein sage, heißt das dann, dass du deine Klappe hältst?«
»
Das Motel der lebenden Kettensägen
, kurze Zusammenfassung des Plots«, fährt Gonzo fort. »Campingtrip in den Frühlingsferien, ›Oh Mann, der Tank is leer! So ne Scheiße! Hey, schau mal, da is ne gruselige Bed-and-Breakfast-Klitsche mit ner Tankstelle.‹ Knirsch, knirsch durch den Wald zu dem abgelegenen, verknorzten Haus. ›Klopf, klopf – hey, da is niemand zu Hause – oh, woraus is denn dieser seltsame Sessel gemacht? Hey, der is ja mit Menschenhaut überzogen!‹ Rrrrrnnnnnnn! ›Oh mein Gott, er hat ne Kettensäge.‹ –
Aaaahhhhhh! Rrrrrnnnnnnn!
Blut spritzt gratis. Zerstückelung. Tod. Gefriertruhen voller Gliedmaßen von Collegekids. Noch mehr Schreie. Und eine einzige, blutbefleckte, für immer mit Narben übersäte Überlebende, die den Rest ihres erbärmlichen Lebens in psychiatrischer Obhut verbringen wird. Abspann.« Gonzo
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