Ohne Ende Leben - Roman
Schrödinger«, sagt er zum Kater. »Auf dass du eine Dimension findest, in der es reichlich Mäuse gibt und der Thunfisch noch frisch ist.«
Schrödingers Protestmiauen wird durch das Schließen der Tür abgeschnitten. Dann folgt ein Brummen, dann ein Blitz, und als die Tür wieder geöffnet wird, liegt Schrödinger bewegungslos in der Kammer.
»Er war ein gutes Kätzchen«, sagt Dr. T und schnieft.
Die Szenen springen in einer ziemlich unzusammenhängenden Geschichte Putopias hin und her – Wissenschaftler in ihren jüngeren Tagen, die an einer Wandtafel Gleichungen entwerfen. Ein Foto von ihnen als Band bei einer Tanzveranstaltung. Ein Fußballspiel in vollem Gang. Eine Reihe dieser seltsamen Makkaronispielzeuge, von denen keines dem anderen gleicht.
»Was sind das für Dinger?«, frage ich.
»Calabi-Yau-Krümmer«, sagt Dr. O, als ob es etwas Selbstverständliches wäre, wie Toast oder Socken.
»Klar. Wusste ich«, sagt Gonzo. Er schaut mich an und rollt mit den Augen.
Dr. M lässt das Modell von Hand zu Hand gehen. »Das sind geometrische Modelle, die die vielen gekrümmten Dimensionen des Raums darstellen, von denen wir bisher nicht mal etwas ahnen.« Er zuckt mit der Schulter. »Ist’n mathematisches Problem.«
Der Film läuft weiter. Mir fällt auf, dass am Anfang eine ganze Menge Wissenschaftler zu sehen waren, in den späteren Szenen aber deutlich weniger.
»Was ist mit all den anderen passiert?«
Dr. Ts Gesicht wird ausdruckslos. »Uns wurden Fördermittel gestrichen. Für Panzer und Raketen gab’s mehr Geld, um Gottesteilchen aufzuspüren weniger.«
»Ah – hier, die Ewigkeit in einem Kuss!«
Ich richte meine Augen wieder auf den Bildschirm. »Warten Sie! Anhalten!«, schreie ich. Das Standbild zeigt einen Mann asiatischer Herkunft, der erstaunt in die Kamera blickt. Aufgeregt deute ich auf den Schirm. »Das ist Dr. X! Kennen Sie ihn? Ist er hier?«
Die Frage kommt den Wissenschaftlern ungelegen.
»Er war mal hier«, sagt Dr. O leise.
Mein Herz rutscht mir in die Hose. Ich hatte gehofft, wir hätten ihn schließlich gefunden. »Und haben Sie ne Ahnung, wo er hin ist? Bitte. Es ist für mich superwichtig, ihn zu finden.«
»Niemand hat von ihm was gesehen oder gehört, seit …« Dr. A verstummt.
»Seit?«, beharre ich.
Die Wissenschaftler tauschen Blicke aus. Dr. T zieht ein abgegriffenes Foto aus einem Bücherregal – Dr. X neben einer lächelnden, sommersprossigen Frau. Es ist das Bild, das ich auf seinem Schreibtisch gesehen habe, als ich im Internet nach den Feuerriesen suchte und stattdessen zufällig Dr. X fand.
»Dr. X’ Ehefrau, Mrs X«, erklärt Dr. T. »Er hat sie sehr geliebt. Sie hat seine Arbeit inspiriert. Er pflegte immer zu sagen: ›Nichts hat Bedeutung, außer dem, dem wir Bedeutung verleihen, und sie bedeutet mir alles.‹« Dr. T legt das Foto ins Regal zurück. »Eine liebenswerte Frau.«
Die Wissenschaftler nicken.
»Was ist passiert?«
»Jedes Jahr hat sie Dr. X zu Weihnachten eine neue Schneekugel für seine Sammlung geschenkt. Er liebte Schneekugeln, meinte, sie seien wie kleine, in sich geschlossene Welten. Wie auch immer, es war die Woche vor Weihnachten und es schneite das erste Mal in jenem Winter. Sie war in der Stadt unterwegs, um sein Geschenk abzuholen und die Rechnung zu begleichen. Aber …« Dr. T schüttelt traurig den Kopf.
Dr. O fährt fort. »Eine Bombe explodierte. Man fand nie heraus, wer es getan hat oder warum – ein völlig willkürlicher, sinnloser Anschlag. Mrs X wurde getötet. Als man sie fand, hielt sie immer noch die Weihnachtsschneekugel für ihren Mann in der Hand.«
Balder nimmt den Helm ab. »Das ist in der Tat eine traurige Geschichte.«
»Nach dem Tod seiner Frau war Dr. X ein anderer Mensch«, erzählt Dr. M mit einem schweren Seufzer. »Er fragte sich, was es nütze, wenn wir die Theorie von Allem und einem kleinen bisschen Mehr untermauern, Gravitronen messen oder die Existenz anderer Welten beweisen könnten, was das alles nütze, wenn wir nicht in der Lage seien, unsere eigenen Leiden in den Griff zu bekommen – die Plagen des Unvorhersehbaren, das Schreckliche, das Sinnlose.«
»Also« – ich hole erst einmal tief Luft –, »also, was geschah mit ihm?«
»Dr. X stellte die Hypothese auf, bestimmte musikalische Frequenzen könnten Portale in Raum und Zeit öffnen. Das hat was mit Schwingungen zu tun. Er glaubte, Musik sei in Wirklichkeit
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