Ohne Ende Leben - Roman
hat sich Dulcie direkt neben mir niedergelassen und bedient sich aus der Tüte mit Jelly Beans. Ich freue mich wirklich, sie zu sehen, und spüre, wie sich meine Traumgeister verflüchtigen.
»Hey du«, sage ich und reibe mir den Schlaf aus den Augen.
»Hallo, selber du.«
»Hab ich irgendwas verpasst?«, frage ich und schaue mich um. Typ Mitte hat sich bis auf seine Unterhose ausgezogen. Er erzählt Gonzo eine Geschichte oder vielmehr lallt er sie. Gonzo sabbert bei halb geschlossenen Augen vor sich hin. Typ Links liegt rücklings auf dem Boden. Er reibt sich den Bauch und stöhnt.
»Typ Mitte hat Typ Links aufgefordert, eine ganze Packung Hot Dogs zu verdrücken. Und der hat’s getan«, sagt Dulcie.
»Das war schon Wahnsinn, was du heut gemacht hast«, sage ich und strecke mich. »Du hast uns fast umgebracht.«
»Aber ich hab’s nicht.«
»Aber du hättest es können.«
»Aber. Ich. Hab’s. Nicht.«
Der betrunkene Typ Rechts wirft ein Holzscheit ins Feuer. Es zischt und funkt.
»Wie auch immer«, sage ich. »Danke.«
»Wofür?«
»Dass du meinen Arsch gerettet hast.«
»Gern geschehen.«
»Oh Mann, das war ein Höllentrip!«
»Yep.« Sie blickt hinauf zum Nachthimmel und lächelt ihr ganz besonderes Dulcielächeln.
»Wunderschön«, murmle ich.
»Was?«
»Oh. Ähm. Die Sterne. Sie sind wunderschön.«
»Ja«, sagt sie. »Für Nachtgespenster.« Sie saugt eine Jelly Bean an ihre Backenzähne. »Dieses Licht braucht Millionen Jahre, bis es uns erreicht. Wenn wir’s sehen, ist der Stern wahrscheinlich schon längst tot und begraben.«
»Wow, du bist’n richtiger Stimmungskiller.«
Sie hebt eine Augenbraue. »Waren wir etwa in Stimmung?«
»Ähm, nein. Nein, ich mein, äh, nicht in
stimmungsvoller
Stimmung.«
»Hmpf.« Dulcie legt einen Arm um meine Schulter. Das fühlt sich warm und gut an. »Wie wär’s damit? Genau in dieser Minute heizt sich irgendwo draußen in der Galaxie eine große Kugel aus Gas und Schwerkraft auf und formt sich zu etwas Neuem und Wildem und Fantastischem. Bis es schließlich explodiert und alle Energie ausspuckt und dieses Licht einfach hinaus ins Universum schickt.« Sie braust mit dem anderen Arm durch die Luft und schnalzt mit den Fingern. »
Kabumm!
Sogar Sterne müssen ihr Zuhause verlassen, sich Dinge angucken und fremde Orte besuchen. Klingt das besser?«
»Besser«, sage ich.
»Was wir genau in diesem Augenblick sehen, ist ein glitzerndes Abschiedsfest: Danke – du warst grandios. Und jetzt fahr vorsichtig!«
Ich muss lachen. »Fahr jetzt vorsichtig? Wirklich? Ist es das, was sie zu sagen haben?«
»Mmmm.« Dulcie nickt. »Sterne. Strahlen und glitzern und sind aber trotzdem überraschend fürsorglich.«
Ich kann mich anscheinend nicht davon abhalten, ihre andere Hand zu ergreifen. Ich verflechte meine Finger mit ihren und reibe mit dem Daumen über Dulcies Handfläche. Die Haut dort ist rau und schwielig, als ob sie gegen irgendetwas Hartes geschlagen hätte. »Was ist damit passiert?«
Sie zieht ihre Hand zurück. »Nichts«, sagt sie missbilligend.
Ich weiß nicht, was ich Falsches gesagt habe. Als ich gerade meinen Mund aufmache, um zu fragen, stöhnt Typ Links lauter und rollt auf die Seite, als ob er Schmerzen hätte.
»Ist er okay? Sollten wir was tun?«
Dulcie winkt ab. »Ihm geht’s gut. Er wird in ungefähr zwanzig Minuten reihern, aber er wird nicht sterben.«
»Ich weiß nicht. Er sieht mir nicht gerade gut aus.«
Dulcie schüttelt die Tüte mit Jelly Beans, auf der Suche nach der Bohne ihres Geschmacks. »Glaub mir, in den nächsten zweiundvierzig Jahren stirbt er nicht.«
Mir wird plötzlich flau im Magen. »Stopp mal – du weißt, was mit ihm passiert? Du kannst in die Zukunft sehen?«
Die Schatten, die das Feuer auf Dulcies Gesicht wirft, nehmen ihm etwas von seinem heiteren Glanz. Ihre Gesichtszüge verändern sich seltsam, so als ob Dulcie versehentlicheine Jelly Bean mit Popcorngeschmack erwischt hätte anstatt eine mit dem gewünschten Zitronengeschmack. »Das hab ich nicht gesagt.«
»Doch, irgendwie hast du’s.«
»Bist du sicher, dass du nicht diese Eisskulptur sehen möchtest …?«
»Nein. Lenk nicht ab. Die ganze Zeit hast du mich mit diesem Schwachsinn gefüttert, dass du nichts weißt und du nur ein Botschafter bist. Dabei kannst du die Zukunft – meine Zukunft? – sehen.«
»Ich hab dir gesagt, dass ich das nicht gesagt habe.« Sie schaut gequält. »Cameron, bitte, vertrau mir.«
»Warum? Warum
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