Ohne Ende Leben - Roman
das völlig wegwischen. Ich benütze das Holz als Spazierstock, wandere am Strand entlang, träume von Dulcie, wie sichihre Flügel anfühlten, geschmeidig und sanft, mit Ausnahme von Schaft und Kiel in jeder Feder. In diese samtigen Flaumfedern eingekuschelt zu sein, gab mir ein Gefühl von Geborgenheit und Freiheit in einem – etwas kaum Zerstörbares. Hunderte dieser Federn breiteten sich fächerförmig um mich aus, wie der sanfteste und unglaublichste aller Mäntel. Zu wissen, dass Dulcie in dieser Welt ist, zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht. Das ist alles.
Eine Feder landet auf meinem Kopf, dann folgt noch eine und noch eine. Wie Schneeflocken fallen die Federn vom Himmel. Federn aus einer gigantischen Kissenschlacht bedecken meine Haut, den Strand, das Wasser – bis ich nichts weiter tun kann, als herumzuwirbeln und den Federschnee anzulachen – wie eine Figur in meiner eigenen zerbrochenen Schneekugelwelt.
Wir bleiben länger, als wir vermutlich bleiben sollten. Der Tag vergeht mit Reden und Wahnsinnssandburgen-Bauen und Balder Wellenreiten lassen. Das unbeschwerte Zusammensein war einfach so schön, dass ich mir wünsche, es ginge nie zu Ende. Jetzt steht die Sonne schon tief am Himmel, und Gonzo und ich sitzen im Sand, während Balder gerade den Bau eines Festungsgrabens um seine Sandburg beendet. Er wartet auf die
Ringhorn
, die, wie er uns versichert, mit der Abendflut kommen wird.
»Wir warten noch dreißig Minuten«, teile ich ihm mit.
»Sie wird kommen«, beharrt Balder und schaut wieder aufs Meer.
»Hey, wollt ihr sehen, ob wir uneingeladen da an der Tacobude mitmischen können?« Gonzo nickt in Richtung einer kleinen Party, die rechts von uns in Gang gekommen ist.
»Nee«, sage ich.
Eine kleine Welle schwappt über meine Zehen und zieht sich wieder zurück. Der Sand fühlt sich weich an und saugt an meinen Füßen. Auf einer Düne versammeln sich Möwen und picken an einem Stück Brot. Ein altes Pärchen hat seine Strandstühle in der Nähe der Promenade platziert. Der Wind dreht sich und trägt die Geräusche eines Volleyballspiels den Strand entlang.
»Sieht so aus, als ob wir irgendwas tun sollten«, sagt Gonzo.
»Wir tun was.«
»Ja. Vermutlich.«
Wir sitzen da, Gonzo und ich, und starren hinaus auf diesen unermesslichen Ozean. Wir beobachten einfach nur die Farben des Himmels, wie sie ins Meer tröpfeln, süß und stark, wie etwas, das dich am Leben hält, wenn sonst nichts mehr da ist.
Vielleicht gibt es ja, wie sie sagen, einen Himmel, einen Ort, wo alles, was wir je getan haben, dokumentiert ist und auf der großen Karmawaage gewogen wurde. Vielleicht gibt es ihn auch nicht. Vielleicht ist dieses ganze Lebensding nur ein gigantisches Experiment von Aliens, die unser menschliches Halligalli irgendwie amüsant finden. Oder vielleicht sind wir das stillgelegte Projekt eines göttlichen Wesens, das bereits vor langer Zeit aus dem Programm ausgestiegen ist. Und wir sind immer noch zu starrköpfig, das zu glauben, und versuchen, dem scheinbaren Zufall einen Sinn zu geben. Vielleicht sind wir alle Teilchen derselben Ursuppe, ohne Bewusstsein, träumen dieselben Träume, teilen dieselben Hoffnungen, brauchen dieselben menschlichen Bindungen, versuchen sie zu knüpfen, scheitern, versuchen es noch einmal; und jeder von uns spielt seine Rolle in den Handlungssträngen der anderen – ein einzigesgroßes, in sich verheddertes menschliches Garnknäuel. Vielleicht sind wir das.
Oder vielleicht ist was Wahres dran an dem, was Junior über diese singenden schwarzen Löcher erzählt hat, über dieses B-Dur ? Vielleicht sind das die letzten Töne, die wir von uns geben, bevor wir wieder Teilchen des Universums werden, als ob wir damit sagen wollten: »Ich war hier. Ein letztes Huu-huu!«, bevor wir in die unendlichen Weiten gezogen werden, in das dunkle Unbekannte einer anderen Galaxie, wo wir die Chance haben, alles anders zu machen. Ich weiß es nicht. Trotzdem sollten wir da mal drüber nachdenken.
»Das ist ganz schön beschissen, Alter«, sagt Gonz und schenkt mir dieses große, liebenswert schiefe Grinsen.
Ich weiß, was er damit meint, und ich würde gern darauf antworten, aber ich finde keine Worte dafür, wie haarsträubend das alles ist, noch haarsträubender als die Bemühung, den Himmel zu vermessen. Ich bin so glücklich, genau jetzt an diesem Ort zu sein und an keinem anderen. Gleichzeitig weiß ich, dass dieses Gefühl nicht andauern wird. Tränen brennen mir in den Augen,
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