Ohne Ende Leben - Roman
meinem Rucksack zu rennen, und falle flach auf den Bauch. Meine Beine funktionieren nicht mehr. Also krieche ich. Jeder Zentimeter ist eine Herausforderung für meine Willenskraft und meinen Schmerz.
»Oh, Cameron. Du kriechst? Mann, das ist aber ne beschissene Art, sich davonzumachen.«
Rucksack. Ich brauche nur meinen Rucksack.
»Hier kommt der große böse Kojote!«
Die Finger sind so steif. Scheiße. Nicht jetzt. Bitte nicht jetzt.
Ich fummle am Reißverschluss herum.
»Owoooooeeeeee!«
, heult der Kojote.
Der Reißverschluss ist offen. Ich greife in den Rucksack. Fühle das kalte Blech. Halte es in meiner Hand.
»Hey. Washastnda, Kumpel?«
»Nur das.« Ich hebe Junior Websters Trompete an die Lippen und blase auf Teufel komm raus.
Nichts.
Ich höre nichts.
Der Große Abrechner lacht in sich hinein und hört dann plötzlich auf. »Hey, ich hab’s gehört. B-Dur . Hey …« Er beginnt in sich zusammenzusinken, alles zieht sich zusammen und verschwindet. Kurz bevor sein Gesicht zerbröselt, blickt er mich direkt an. »Na gut, Scheiße!«
Mit einem Schlag zerbersten die Schneekugeln. Das Wasser flutet heraus und steigt und ich bin mittendrin. Es reißt mich mit sich, den Gang hinunter, auf die letzte Tür zu. Mein Gesicht spiegelt sich im Türgriff. Alles wirkt verzerrt. Ich öffne die Tür und springe hindurch.
Das Meer. Ein Haus. Und da steht die alte Lady in ihrem Garten. Sie schaut kurz hoch, nickt und kümmert sich dann wieder um ihre Pflanzen. Also gehe ich weiter, ins Haus hinein. Steige die Treppe hoch. Ein süßer Duft liegt in der Luft. Auf der Kommode steht ein Krug mit Maiglöckchen. Und vom Fenster aus sieht man hinaus aufs Meer, wo die Sonne tief am Himmel hängt und sich die Wolkenschatten übers Wasser erstrecken. Die Bettdecke ist zurückgeschlagen. Jetzt merke ich, dass ich wirklich müde bin. Aber auf eine gute Art müde, als ob ich den ganzen Tag am Strand verbracht hätte. Die Laken sind kühl und einladend, als ich ins Bett schlüpfe.
Alles in mir scheint sich zu verlangsamen.
Piep. Piep. Surr. Surr.
Die Decke. Weiß wie der Mond. Wie der Schnee mit all seinen verschiedenen Worten. Das Engelsbild an der Wand.
Piep. Surr.
Mom, Dad und Jenna sitzen um mich herum. Glory geht rüber zum Beatmungsgerät und legt einen Schalter um. Sie drückt Knöpfe und schaltet auch das EKG und den Herzmonitor aus, bis es im Zimmer vollkommen still ist. Mir ist,als ob ich irgendwie schwebe. Es ist nicht schlimm. Es ist ganz anders, wirklich.
Mom und Dad nehmen beide eine meiner Hände. Jenna sitzt neben mir. Alles verlangsamt sich. Das Zimmer wird dunkler, und ich spüre, dass ich auf irgendetwas hingezogen werde, das ich nicht sehen kann. Dinge streifen an mir vorüber. Sterne. Gasnebel. Satelliten. Planeten rasen davon. Sogar ganze Universen. Ich fühle mich zur gleichen Zeit ungeheuer groß und unvorstellbar klein. Ich fühle mich – verbunden.
Kurz bevor sich der Raum völlig auflöst, legt Glory die Hand über meine Augen und die Welt verschwindet, einfach so.
KAPITEL EINS
In dem …
Zwei Dinge weiß ich ganz gewiss.
Erstens: Ich schwebe.
Und zweitens: Es ist wirklich verdammt dunkel. Nein, wirklich, Mann. Du hast keine Ahnung, wie dunkel.
Ich versuche, damit klarzukommen. Ja, echt. Aber offen gestanden treibt’s mich in den Wahnsinn. Außerdem ist es öde. Ich hoffe, dass das nicht das ganze Programm ist, sonst werde ich noch irre.
Von weiter vorn dringt ein leiser Ton an mein Ohr, und ich sehe nichts als das schwächste aller schwachen Lichter, wie wenn ein alter Fernsehapparat angeschaltet wird und sich aufwärmen muss. Vom Licht kommt gerade so viel bei mir an, dass ich sehen kann, wo ich bin. Ich sitze in einem Boot, das auf einem Fluss treibt.
Ich höre Gesang. Ich kenne das Lied.
Das Boot gleitet hinaus aus der Dunkelheit und ich fange an zu lachen. Die Bollywoodmarionetten singen ein Ständchen für mich.
It’s a world of laughter, a world of tears – Eine Welt voller Lachen, eine Welt voller Tränen.
Ich kann sie wirklich sehen, vor mir, was immer ›wirklich‹ heißen mag. Dulcie trägt ihre zerrissenen Netzstrümpfe und ihre schwarzen Springerstiefel und hängt mit dem angelnden Inuitjungen ab.
»Hey, Cowboy«, ruft sie und winkt vom schneebedecktenweißen Ufer herüber. Ihre Flügel sind mit Buddhakühen besprüht. Sie sehen fantastisch aus. »Schön, dass du aufkreuzt. Warum hast du denn so lange gebraucht?«
»Hab nen kleinen Umweg gemacht,
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