Ohne Ende Leben - Roman
genannt, als ich acht war und die Masern hatte.
Ich gucke kurz hoch. »Hey.«
»Wie fühlst du dich?«
»Okay.«
»Ja?« Er fragt, als ob er es wirklich wissen will.
»Ja. Ähm. Okay.«
»Gut.« Er nickt, nimmt eine
Great Tremolo -LP
in die Hand und tut so, als ob er den Covertext liest. »Ist der Typ gut?«
Ich zucke mit den Schultern.
»Deine Mutter hat mir von dem, äh, dem Arztbesuch erzählt. Ich schwör dir, diese Kerle können ihren Arsch nichtvon ihrem Ellbogen unterscheiden. Egal, Stan aus meinem Büro – du kennst Stan Olsen? –, er hat mir die Nummer eines Spezialisten in Dallas gegeben. Ich hab einen Termin für Dienstag ausgemacht.«
»Okay.«
»Ich bin sicher, es ist nichts, Cam. Viren können alle möglichen Dinge vortäuschen. Wahrscheinlich wird uns der Arzt rausschmeißen, weil wir seine Zeit verschwenden.« Dad legt die
Great Tremolo -LP
aus der Hand. Er betrachtet den von Müll übersäten Fußboden, ganz so, als ob eigentlich der ihm Schmerzen bereitet, aber er räuspert sich nur. »Was hast du gesehen, Cameron, als der Toaster Feuer fing? Deine Mutter hat irgendetwas von Feuerriesen gesagt.«
»Ich glaub, mir ging’s einfach nicht gut.«
Dad denkt kurz nach und nickt. »Wenn wir schon von Feuer sprechen, vielleicht mach ich uns heute Abend eins. Wir könnten Marshmallows grillen und uns einen Film ansehen.«
Es scheint mir nicht der richtige Zeitpunkt zu sein, ihn darauf hinzuweisen, dass wir draußen fünfzehn Grad haben. Nicht gerade ein kuscheliges Lagerfeuerwetter. »Klar.«
»Gut. Also. Ich werde, äh, mal eben … ein bisschen Holz hacken. Okay, Kumpel?«
Ich höre, wie sich die Schiebetür zum Garten öffnet und schließt. Als ich aus dem Fenster gucke, steht Dad unten, Hände in den Hüften, und schaut sich um, als ob er unseren Garten noch nie wirklich gesehen hat. Er nimmt die Axt und haut mit halbherzigem Schwung auf einen mickrigen Holzklotz ein. Dann fällt er auf die Knie und schließt eine Minute lang seine Augen. Ich könnte fast schwören, dass erbetet. Aber mein Vater ist ein Wissenschaftler. Er ist kein gläubiger Mensch. Er springt wieder hoch und haut mit ganzer Kraft auf den Klotz, immer und immer wieder, bis nichts übrig bleibt als ein Haufen Spreißel.
Die Praxis des Facharztes liegt in einem riesigen Komplex aus Glas und Stein in der Nähe des Krankenhauses. Langsam glaube ich dran, dass es eine Innenarchitektin gibt, die auf Einrichtungen von Arztpraxen spezialisiert ist. Eine, die für die Auswahl der Pflanzen verantwortlich ist, die so falsch sind, dass sie fast wie echt aussehen, und für die beige gestreiften Tapeten in jedem Wartezimmer, in dem ich in jüngster Zeit gewesen bin. Wahrscheinlich legt sie sogar die Zeitschriften auf den Beistelltischen aus, Magazine, die niemand liest, wie
Angeln und Freizeit
und
Rätsellabyrinthe für Kids
oder
Das Auto Vierteljahresheft
.
»Wie fühlst du dich, mein Schatz?«, fragt mich Mom das vierte Mal an diesem Nachmittag und hält dabei meine Hand.
»Gut.«
Dad trommelt mit den Fingern auf seinem Knie. »Vielleicht könnten wir danach bei
Sancho’s
Enchiladas essen. Hättest du Lust?«
»Sicher.«
Mom starrt geradeaus. »Sie haben einen guten Avocado-Dip.«
»Einen ausgezeichneten Avocado-Dip«, sekundiert Dad.
Nur um ein Gespräch zu vermeiden, nehme ich mir ein Exemplar von
Das Auto Vierteljahresheft
und tu so, als ob ich einen Artikel über einen Mann lese, der einen Gebrauchtwagenpark besitzt und sich aufs Aufpolieren alter Cadillacs spezialisiert hat.
Eine Arzthelferin steckt den Kopf durch die Tür. »Mr und Mrs Smith? Der Doktor würde gerne zuerst mit Ihnen sprechen.«
Eine Viertelstunde dauert es, bis ich ins Sprechzimmer des Dr. Spezialist gerufen werde. Irgendwelche Röntgenaufnahmen hängen an einem Leuchtkasten hinter seinem Kopf. Ich weiß nicht, ob es meine sind. In diesem Augenblick sehen sie fast so aus, als ob sie ein Dekorationselement der Praxiseinrichtung von der ganz speziellen Innenarchitektin sein könnten. Dad sitzt in einem der Sessel. Sein Gesicht ist grau. Mom umklammert ein Papiertaschentuch.
»Hi, Cameron. Ich habe gerade mit deinen Eltern hier gesprochen und musste hören, dass du ne ziemlich stressige Woche hattest«, sagt der Spezialist, was wohl witzig und vertraulich klingen soll. Leck mich doch. Ich versuche meine Arme über der Brust zu verschränken, aber sie wollen nicht mitmachen, also lasse ich sie an den Seiten herunterhängen.
Nur ein Virus.
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