Ohne Ende Leben - Roman
Irgendwie macht sie mir das sympathisch. Wir sprechen die gleiche Sprache.
»Werd ich wieder gesund?«
Für ein paar Sekunden wird Glorys stocksteifer Körper weicher. »Das musst du den Arzt fragen, Cameron.« Ich mag es, wie sie meinen Namen ausspricht, als ob er drei Silben hätte, nicht nur zwei.
»Es ist nur … wissen Sie, niemand sagt mir irgendwas.«
Glory wirft einen Blick den Flur hinunter, wo sie noch Krankendaten erfassen und Patienten untersuchen muss. »Weil niemand was darüber weiß, wie das alles zusammenhängt und warum. Warum Gott die Guten oder die Jungen zu sich nimmt oder warum wir leiden müssen. Ich weiß auch nicht, warum er mir mein kleines krebskrankes Mädchen genommen hat, als sie gerade mal fünf Jahre alt war.« Sie atmet tief durch, als ob der Schmerz noch ganz frisch ist. »Ich weiß es nicht und ich werd’s wohl nie erfahren.«
Mein Atem stockt. Ich fühle, dass ich etwas sagen sollte, aber irgendwie glaube ich nicht, dass Glory der Ich-brauche-dein-Mitleid-Typ ist.
»Drück einfach den Knopf, wenn du was brauchst«, sagt sie, diesmal ein bisschen sanfter.
Tag Fünfzehn
Chet King besucht mich. Obwohl BSE nicht wirklich ansteckend ist, hat er sich herausgeputzt und trägt volle Schutzkleidung – weißer Papierkittel, Atemschutzmaske und Handschuhe. Er sieht aus wie ein riesiger paranoider Medizinschneemann oder irgendein exzentrischer Popstar. Er hebt eine Hand und das erinnert mich an diese Winkekatzen in japanischen Restaurants.
»Hi, Champ«, sagt er schließlich. »Jenna hat mich gebeten, mal kurz vorbeizuschauen. Nicht, dass ich nicht kommen wollte, weißt du …« Hinter der Maske klingt seine Stimme dumpf. »Hey! Hast du’s gehört? Die Trainer haben uns erlaubt, das All-Star-Spiel dieser Woche dir zu widmen. Jeder von uns betet für dich, Bruder.«
Ich stelle das Fernsehgerät ein bisschen lauter. Ich verpasse ungern eine einzige brillante Sekunde meiner Soaps.
Chet räuspert sich. »Also, ähm, wie geht’s dir so?«
»Gut, bis auf diese lästige Sache mit dem Sterben.«
»Genau darüber wollte ich heute mit dir reden.« Chet klingt so ernst, dass ich tatsächlich die Stummtaste drücke. »Du weißt, Cameron, dass niemand jemals wirklich stirbt. Jedenfalls niemand, der Jesus Christus als Herrn und Erlöser anerkennt.«
Chet fällt neben meinem Bett auf die Knie und betet darum, vor meiner nicht ansteckenden Krankheit geschützt zu werden. Dann nimmt er meine Hand in seine behandschuhte, die – heilige Scheiße! – aussieht wie eine Monsterpranke. Wie kommt es, dass ich nicht so männlicheHände habe? Falls irgendwo eine Reinkarnation verfügbar ist, beantrage ich große Hände.
»Gott, ich bete dafür, dass du die Furcht von Camerons Geist nimmst und ihm seine Sünden vergibst. Im Namen deines Sohnes, Jesus Christus, unseres Erlösers. Amen. – Cam«, sagt Chet mit leiser, sakraler Stimme, »möchtest du noch etwas hinzufügen?«
»Nein, ich glaube, du hast alles Grundsätzliche abgedeckt.«
»Möchtest du nicht deine Sünden beichten und Jesus um Vergebung bitten?«
Ich weiß nicht, warum mich dieser Satz ausrasten lässt. Ich wünschte, ich könnte mir alle Schläuche und Drähte vom Leib reißen und mit meinen Fäusten auf Chet King – dieses Mal mit voller Absicht – einhämmern.
»Sollte nicht vielmehr Jesus
bei mir
um Vergebung bitten?« Dafür, dass er mich mit sechzehn aus dem Rennen nimmt, ohne dass ich jemals Sex hatte?«
Chet schüttelt den Kopf. »Ich weiß, dass dieser Ärger nur eine Schutzmauer ist, Cameron.«
»Nein, ist er nicht. Ich bin wirklich stocksauer.«
»Er ist nur eine Schutzmauer gegen den Schmerz in deiner Seele. Ich kann das sehen. Und Gott auch.«
Jetzt würde ich am liebsten schreien:
Wenn Gott meinen Schmerz sehen kann, warum, zum Teufel, nimmt er ihn nicht von mir? Wenn Gott wirklich existiert, warum erlaubt er all die schrecklichen und unfairen Dinge, die passieren? Was für ein sadistischer Fiesling ist er eigentlich?
»Du glaubst, dass ich nicht weiß, wie sich das anfühlt, im Bett zu liegen, sich zu bemitleiden und sich zu fragen, warum gerade einem selbst etwas Schreckliches passiert ist?«, sagt Chet. »Ich war mir nicht mal sicher, ob ich je wiederwürde laufen können. Football, das war mein Leben, und jetzt werde ich niemals mehr spielen. Aber ich hab’s akzeptiert, Cameron. Und weißt du, warum?«
»Weil du erkannt hast, dass es ein Sport für geistig Minderbemittelte ist?«
Für einen
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