Ohne Ende Leben - Roman
ein paar neue Comics mitgebracht, echt cool von ihr. Ich muss wohl eingeschlafen sein. Als ich aufwache, sitzt sie auf dem hässlichen Krankenhausstuhl und steckt Fotos in ein großes Buch. Sie lächelt mir leicht zu. »Ich dachte mir, ich könnte das Fotoalbum von unserer Reise nach
Disney World
endlich mal fertig machen.«
»Mom, ich war fünf, als wir da waren.«
»Weiß ich. Ich hab immer gesagt, ich komm noch dazu.« Sie gibt mir ein Foto in die Hand. »Erinnerst du dich?«
Auf dem Bild stehen wir alle vor dem Eingang von
Tomorrowland
. Ich grinse wie ein Wahnsinniger.
»Du hast diesen Ort geliebt. Wir haben alle Vergnügungsfahrten, bei denen du dabei sein konntest, mindestens viermal gemacht.«
»War das bevor oder nachdem ich in
Small World
ausgeflippt bin?«
»Danach«, sagt sie mit einem traurigen kleinen Lächeln. Mom durchsucht die Schuhschachtel mit den Fotos. Eins nach dem anderen nimmt sie heraus und lässt es wieder fallen. »Ich weiß nicht, wo ich die alle unterbringen soll.«
Schließlich macht sie die Schachtel zu und lässt sie zusammen mit dem halb fertigen Fotoalbum in ihre Büchertasche gleiten – in die Vergessenheit.
Tag Neun
Das Kiffertrio besucht mich. Wenn man ihnen beim Reden zuhört, ist das so, als ob man ein Volleyballspiel verfolgt und die Spieler nicht auseinanderhalten kann.
Rachel: Ey, Alter, ein paar von den Schwestern sind ganz schön heiß. Die eine mit dem dunklen Haar und dem Pferdeschwanz. Ist die ein Szenefreak? Piercing und Wissenschaft?
Kevin: Ist sie schon mal reingekommen, mit aufgelöstem Haar, und hat geflötet: »Oh, Cameron, dass es so sein wird, hätte ich mir nie träumen lassen!«
Rachel: Du Schwein. Hör auf, so über meine zukünftige Freundin zu reden.
Kyle: Obwohl – das könnte total so was wie ne Letzter-Wunsch-Kiste sein. Tu es! Schieb ne heiße Schwestern-Nummer, bevor du abtrittst.
Kevin: Sie stopfen dich doch mit guten Pillen voll? Mein Onkel kam zu ner Gallenblasenoperation rein und sie gaben ihm so was wie Lasst-mich-Gott-sehen-Ocontinsowas.Das war die einzige Woche, in der er nicht als totales Arschloch rumlief. Wir wollten ihm das Zeug sogar in seine Wasserversorgung kippen.
Rachel: Hast du’s gehört? Die Schülermitverwaltung verkauft goldene Schleifchen, um Geld und was weiß ich für dich zu sammeln. Die ganze Schule trägt sie schon. Mrs Rector hat sogar in ihre Schnapskasse gegriffen, um eins zu kaufen, und das, obwohl sie dich gar nicht mag.
Kevin: Eigentlich sollten die Schleifchen schwarz-weiß sein, weißt du, wie’n Kuhfell. Aber das hatten sie schon für ne andere Krankheit gemacht.
Kyle: Tut mir echt leid, Alter, dass du im Krankenhaus liegen musst.
Rachel: Scheiße.
Kevin: Ja, definitiv die Oberscheiße.
Sie nicken unisono mit den Köpfen.
Kevin: Hey! Wir haben dir den neuen Director’s Cut von
Star Fighter
mitgebracht, Episoden eins bis vier.
Kyle: Die einzigen, die man sehen muss.
Rachel: ’tschuldigung, die Plastikhülle ist weg, aber wir haben uns die Filme letzte Nacht reingezogen. Dachten uns, das macht dir nichts aus. Die Kopie ist so scharf, da kannst du alles sehen, zum Beispiel wenn Star Fighter sich rumschlägt mit Dark –
Kevin: – Matter? Das Feuer dieser ultimativen Friedenswaffe sieht nicht mal computergeneriert aus. Einfach geil!
Rachel und Kyle: Ja. Geil.
Sie legen die DVDs ans Ende des Bettes, wo ich sie auf meinen Zehen balanciere.
Rachel: Also, Alter. Ernsthaft. Bevor du ins Gras beißt, glaubst du, dass du bei dieser Krankenschwester noch ein Wort für mich einlegen kannst?
Tag Elf
Die Tür geht auf, und eine alte Dame, die aussieht wie ein winziges Vögelchen, schlurft herein. Ihren Infusionsständer benützt sie als Gehstock.
»Ähm, ich glaube, Sie sind im falschen –«, beginne ich.
Sie hält den Finger vor die Lippen und bringt mich zum Schweigen. »Die werden hier nicht nach mir suchen.«
»Wer?«
Ihre Augen weiten sich. »Die! Ich muss hier raus. Ich lauf davon.«
Ihr drahtiges graues Haar fällt in langen, wirren Strähnen vorne über ihr Krankenhausnachthemd. Ich frage mich, ob sie eine Alzheimerpatientin oder so was ist und ob ich nach der Schwester rufen sollte. Ich taste nach dem Rufknopf, aber der ist außer Reichweite. Die alte Lady krümmt sich und hustet. Das ist der Husten von der anderen Seite des Flurs.
Sie lässt sich auf dem Stuhl neben meinem Bett nieder und legt ihre knochige Hand auf meinen Arm. »So sollte ich nicht
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