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Ohne Ende Leben - Roman

Ohne Ende Leben - Roman

Titel: Ohne Ende Leben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Libba Bray
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die Faust, und mir ist, als würde mir die Kehle zugeschnürt.
    »Okay, okay!«, ruft Junior, und ich kann wieder durchatmen. Die Kerzen erlöschen. »Ich mach dir ein Angebot. Ich weiß, dass du schon seit einiger Zeit hinter meiner Trompete her bist. Spielen wir also drum. Wenn ich gewinne, lässt du uns in Ruhe und verschwindest für immer. Wenn du gewinnst, kriegst du die Trompete.«
    Der Abrechner wirft den Kopf zurück. Ich höre nicht,dass er etwas sagt, aber Junior muss was gehört haben, weil er sichtlich enttäuscht wirkt und sich seine Mundwinkel verziehen. »Also gut. Wenn’s nun mal so sein soll. Einverstanden.«
    »Einverstanden womit?«, frage ich Junior.
    »Vergiss es«, flüstert Junior. »Wenn mir heut Nacht was zustößt, dann pass auf meine Trompete auf.«
    »Aber Sie haben gerade gesagt   –«
    Juniors Stimme klingt gepresst. »Ich weiß, was ich gesagt habe, mein Sohn. Du nimmst diese Trompete, und eines Tages, wenn du musst, wenn dir nichts anderes übrig bleibt, spielst du sie. Verstehst du mich?«
    »Okay«, sage ich und verstehe gar nichts.
    Als Nächstes gibt er mir seine Sonnenbrille. Seine Augen sind trüb. »Also, du nimmst diese Brille, vergräbst sie unter dem Engel und wartest auf eine Botschaft. Du brauchst die Nachricht, um weiterreisen zu können.«
    »Ich verstehe nicht. Geht’s hier um Dr.   X?«, frage ich.
    »Es geht um viel mehr als das, mein Sohn.« Er stößt Luft aus und lockert die Lippen fürs Spielen.
    »Aber was für ne Botschaft? Wonach such ich denn?«
    »Musst du schon selbst herausfinden. Ich werd jetzt diesen Narren austricksen. Hilf mir dabei.« Er zeigt auf die glänzende Bassgitarre neben uns. Ich könnte schwören, dass sie vor einer Minute noch nicht dastand.
    »Ich – ich kann nicht spielen.«
    »So sind die öffentlichen Schulen heutzutage«, seufzt Junior Webster, »keine Musik mehr, nur Prüfungen und noch mal Prüfungen. Also gut, das kriegste schon hin. Rutsch einfach von hier nach hier nach hier und wiederhol das«, sagt er und drückt meine Finger in drei schnellen Wechseln auf die Saiten.
    »Aber   …«
    »Vertrau mir. Du!« Er zeigt auf Gonzo. »Du bist an den Drums. Ich brauch heut Abend jede Hilfe, die ich kriegen kann.« Gonzo klettert auf den schäbigen Hocker hinter dem Schlagzeug. Wie ein Profi greift er nach den Sticks.
    »Kannst du Schlagzeug spielen?«, flüstere ich ihm zu.
    »Nur am Rock-’n’-Roll-Simulator«, sagt er, die Augen weit aufgerissen. »Aber ich hab’s bis Level fünf geschafft.«
    »Heut Nacht hab ich zwei ganz besondere Freunde, die mir helfen«, ruft Junior in die Menge.
    »Der letzte Wunsch von dem einen!«, ruft Miss D und alle applaudieren.
    »Junior«, sage ich, »ich mein es ernst – ich kann nicht spielen.«
    »Aber sicher kannst du, mein Sohn. Leg nur die Finger auf die Saiten, wie ich dir’s gezeigt habe, lass es laufen und bleib dabei.«
    Er schiebt die Sonnenbrille in die Tasche meiner Windjacke, setzt die Trompete an die Lippen, bläht die Wangen und lässt die Luft mit furiosem Getöse frei. Niemals im Leben habe ich jemanden so spielen hören – ein absolut wahnsinniger, wundervoller Sound. Hart, weich, lieblich, bösartig, verzweifelt und voller Freude – ein ganzes Leben in einer einzigen leidenschaftlichen Melodie. Und ich begleite ihn am Bass. Meine Finger gleiten unbeholfen die Saiten rauf und runter. Das klingt ein bisschen wie eine Katze, der das Fell über die Ohren gezogen wird. Aber irgendwie füllt es die Pausen, und außerdem, glaube ich, bedauern uns die Leute viel zu sehr, um sich zu beschweren. Gonzo hält den Rhythmus mit vollem Körpereinsatz und murmelt dabei von Zeit zu Zeit »Level fünf, Level fünf   …«.
    Ein anderer Ton durchschneidet die Luft. Der Große Abrechnerspielt seine eigene Jazztrompete und misst sich mit Junior Riff für Riff. Töne fliegen in die Höhe und stürzen herab und schwingen sich wieder auf. Der Schweiß rinnt Junior die Wangen herunter und durchnässt seinen Kragen. Aber er swingt weiter. Ich fühle mich, als sei ich mitten in dieser Musik. Langsam verstehe ich die wundervolle schräge Welt des Jazz. Es ist wie mit diesem Sternenhimmel, den mir Junior in seiner Garderobe gezeigt hat – ein Raum, der riesig ist. Er scheint losgelöst von jeglichen Regeln zu existieren. Aber je mehr du in ihm schwebst, desto mehr glaubst du, dass er am Ende doch seiner eigenen seltsamen, geheimnisvollen Ordnung folgt.
    Junior geht ganz in seiner Musik auf. Nach

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