Ohne Ende Leben - Roman
Friedhof ungefähr hunderttausend Engel gibt.«
Dulcie nickt. »Das ist hart.«
»Ich dachte, du weißt vielleicht, wo? Fällt das etwa nicht unter die Kategorie ›Ganz besonders geheime Engelsinfos‹, zu denen du Zugang haben könntest?«
Sie lehnt sich zurück, schlägt die Beine übereinander, wippt mit dem oberen und berührt mich jedes Mal leicht mit ihrem Stiefel. »Cameron, ich hab dir gesagt, dass ich nur eine Botschafterin bin.«
Ich hebe die Hände. »Gut. Junior Webster wollte, dass ich diese Sonnenbrille unter dem Engel begrabe? Ich bin dabei. Falls das nicht funktioniert, werd ich mich wirklich einen Dreck mehr um was kümmern. Nimm mal deine Füße weg.«
Dulcie schwingt ihre Stiefel zur Seite. Ich buddle ein kleines Loch in die frische Erde des Soldatengrabs, lass die Sonnenbrille hineinfallen und schütte das Loch wieder zu. Ich wische die Hände an meiner Jeans ab, setze mich neben Dulcie und warte. Über uns drehen kreischende Möwen ihre Runden. Nach fünf Minuten untersuche ich den Boden. Nichts.
»Also, wo ist die geheime Botschaft?«
»Keine Ahnung«, sagt sie und taucht mit der Hand in ihren Geheimvorrat an Schokoleckerlis. »Aber ich liebe es, wenn man nichts weiß – dieses Gefühl des Geheimnisvollen. Du etwa nicht?«
»Nein. Wirklich und wahrhaftig: nein.« Wir sitzen noch ein, zwei Minuten schweigend nebeneinander. Mein Arsch tut weh und ich will nichts weiter als von hier abhauen. »Sollten wir nicht was sagen? Gibt’s vielleicht ein paar Zauberworte, die das Ganze beschleunigen?«
Dulcie streckt ihre Hände aus, wie ein Zauberkünstler, der gerade ein Kaninchen schweben lässt.
»Dommo arigato, Mr Roboto.
« Sie zuckt. »Ich hab das mal im Radio gehört.«
»Mir reicht’s. Ich steig aus.« Ich stehe auf und stolpere auf dem Weg prompt über einen großen Stein. Unter ihm liegt ein Fetzen der heutigen Zeitung, der Anzeigenteil.
»Hast du’s gefunden?«, fragt Dulcie und blickt von ihrem neuen Hochsitz in der Krone der Trauerweide auf mich herunter. Sie spielt sich total vor mir auf.
»Kannst du mich das bitte mal lesen lassen?«
Sie tut so, als ob sie einen Reißverschluss über den Lippen zuzieht, und ich durchsuche den Zeitungsteil. Ein einziger chaotischer Mischmasch.
HIER UND AUCH WIEDER NICHT –
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YA!-PARTY
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»Hoffnungslos«, sage ich.
Vom Baum schwebt Dulcies Stimme herunter. »Schau weiter. Du findest es.«
»Ja? Woher willst du das wissen?«
»Weil ich an dich glaube, Cameron«, sagt sie ohne eine Spur von Sarkasmus.
Ich schaue noch einmal, und jetzt sehe ich – unten in der rechten Ecke – eine klitzekleine illustrierte Anzeige der
Roadrunner Bus Company
mit dem Slogan:
Folge der Feder
.
»Hey, ist es das? Ist es das, was Junior gemeint hat?«, rufe ich nach oben, aber in der Trauerweide sitzt niemand mehr. Dulcie ist schon weg. Ein plötzlicher Windstoß fegt mir das Papier aus der Hand und bläst es davon. Ein Fitzelchen bleibt mir. Darauf ein Wort:
leben
.
KAPITEL EINUNDZWANZIG
In dem Junior Websters kryptische Botschaft nicht weniger kryptisch wird und die schlimmsten Fotos zirkulieren, die je von uns gemacht wurden
Wir sind am Busbahnhof und füttern den Fahrkartenautomaten mit Dads Kreditkarte. Laut Fahrplan fährt der Bus nach Daytona in fünf Minuten. Ich weiß nicht, ob wir diesen Bus überhaupt nehmen sollen. Ich halte mich nur an das, was ich auf der Anzeigenseite gelesen habe. Da stand was von der
YA!-Party
. Die ist in Florida. An diesem Abend fahren drei Busse und einer davon geht nach Daytona; ergo: Wir fahren nach Daytona. Ich spüre meiner Zukunft auf der Basis einer Kleinanzeige nach, die ich auf einem Friedhof gefunden habe.
»Also meinst
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