Ohne Fleiß kein Reis: Wie ich ein guter Deutscher wurde (German Edition)
– und das in dem national angehauchten Lichtenberg, dachte ich mir.
IM ZENTRUM DER MACHT
E in Migrant sollte seinen Platz in der Gesellschaft kennen. Falls er sich dem widersetzt, werden ihm schnell die Grenzen aufgezeigt. Doch meine Beharrlichkeit, mit der ich einem Shaolin-Mönch gleich an den Türen des Bundestags klopfte, gewährte mir Einlass in den heiligen Palast deutscher Politik, in den sich ansonsten nur wenige Migranten verirren. Für Migranten reichen der Ruf: »Ich will hier rein!« und das Rütteln am Zaun nicht aus, damit sich die Tore öffnen. Die Migranten, die es trotz aller Widrigkeiten in den Bundestag schaffen, machen meist Karriere als Wasserträger, Fensterputzer, Kloputzer, Klinkenputzer, Maschinenputzer, als Saubermacher jeglicher Art.
Als einer von rund 5.000 Mitarbeitern der 612 Volksvertreter brachte ich einen kleinen Farbtupfer in den homogenen Betrieb. Im Schnitt kommen auf einen Abgeordneten drei Leute, bestehend aus einer Sekretärin und zwei wissenschaftlichen Mitarbeitern. Von den 5.000 sind 2.400 in der Verwaltung angesiedelt. Die restlichen 800 arbeiten für die verschiedenen Fraktionen. Mich beschäftigte schon lange die Frage, wie viele von den rund 1.800 Mitarbeitern der Abgeordneten einen Migrationshintergrund haben und welche Funktion sie ausüben. Ich vermute, dass es nicht viele sind.
Menschen, so sagt man, haben zwei Gesichter, Politiker drei oder vier, und dazu sind sie verdammt gute Schauspieler, die es mit jedem Broadwaystar aufnehmen könnten. Vor der Kamera zeigen sie immer ein anderes Gesicht als später, wenn die Kamera ausgeschaltet ist. Für diese spezielle Performance sollte es einen Preis geben, ähnlich dem Bambi. Mein Bekannter Manfred, ein Original-Kreuzberger, würde dazu sagen: »Als Mensch nicht zu gebrauchen und als Schwein zu kleine Ohren.« Im Bundestag kam ich zu der Erkenntnis, dass nicht nur der gigantische CO 2 -Ausstoß der Industrieländer Schuld an der Umweltverschmutzung trägt, sondern auch die viele heiße Luft, mit der die Bundestagsabgeordneten nahezu verschwenderisch umgehen.
Bunt sind nur die Kunstsammlung, die der Bundestag beherbergt, die politischen Farben der Parteien und die Deutschlandflaggen vor dem Westeingang. Das expressionistische Bild »Zeit und Leben« von Bernhard Heisig, das in der Cafeteria des Reichstages hängt, ist solch ein buntes Bild. Die grünen Neonlichtskulpturen Neo Rauchs im Paul-Löbe-Haus zeigen zwei auf Leitern stehende Männer, die ihre linke beziehungsweise rechte Hand hochstrecken, vielleicht aus Protest. Bei Bildern und Skulpturen sind den Phantasien keine Grenzen gesetzt. Für mich greifen Rauchs Skulpturen nach gemeinsamen Zielen. Sie erinnern mich an ein Poster der olympischen Siegerehrung 1968 in Mexiko City, das in meiner Wohnung hängt. Der Afroamerikaner Tommy Smith gewann über 200 Meter die Goldmedaille. Um auf die Armut der Schwarzen aufmerksam zu machen, betrat Smith barfuß das Siegerpodest. Als die Nationalhymne seines Landes aus den Lautsprechern erklang, streckte er seine rechte Faust, umhüllt von einem schwarzen Lederhandschuh, in die Luft, um auf das Problem der Rassendiskriminierung hinzudeuten. Das olympische Komitee war derart aufgebracht über die Protestaktion, dass Smith und sein Mannschaftskollege John Carlos, der es ihm gleichtat, aus dem olympischen Dorf verwiesen und vom weiteren Wettbewerb ausgeschlossen wurden. Auf der anderen Seite erinnern mich Rauchs Neonlichtskulpturen an Norbert Blüm, der einst auf einer Trittleiter an eine Litfasssäule gelehnt stand und mit einem Auskehrer über Plakate wischte, auf denen stand: »Denn eins ist sicher: Die Rente.« Im Nachhinein glaube ich wirklich, dass das Kunstwerk ein verstecktes Denkmal für Norbert Blüm ist, denn der sprach doch von der Rente der Abgeordneten.
Die Kunstwerke von Neo Rauch, Anselm Kiefer, Baselitz, Heisig und Strawalde haben eine gewisse Soul-Food -Wirkung auf mich. Sie geben mir Instant Karma . Und mit einem Mal stören mich die kleinen Schikanen nicht mehr, wenn etwa mürrische Wachmänner im Bundestag meinen Rucksack oft gesondert durchleuchten wollen, meinen Hausausweis doppelt kontrollieren oder mich mit ihren Blicken durchbohren, als gehörte ich nicht hier hin. Aber wer kann ihnen das schon verübeln? Wer rastet, der rostet, und an wem sonst sollten sie das sich angeeignete Wissen austesten. Mir ist klar, welchen Eindruck ich hier erwecke. Doch dieses Mal begnüge ich mich nicht mit der Rolle des
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