Ohne Fleiß kein Reis: Wie ich ein guter Deutscher wurde (German Edition)
Karl-Marx-Straße, die dort filmen, um ihre Klischees bestätigt zu finden. Das sind die wahren Gangster und Dealer, die die Menschen abziehen. Warum berichten sie nicht über die zahlreichen rechtsextremen Übergriffe, die hier stattfinden. Vielleicht ist das zu unspektakulär, weil die Menschen gesättigt sind vom Bild des Ausländers als ewiges Opfer rechtsextremer Gewalt. Im Impressum deutscher Tageszeitungen sind Journalisten mit Migrationshintergrund Mangelware. Wie viele Journalisten mit Migrationshintergrund bei der WDR-Kampagne »Raus aus den Nischen« 2007 zur Förderung der Migranten in den hiesigen Medien Verträge als Vollzeitkräfte unterschrieben, ist mir nicht bekannt. Neukölln ist kein Utopia. Es ist aber auch nicht besser oder schlechter als andere Bezirke und Stadtteile, was Gewalt und Kriminalität anbelangt. Mit den Menschen, egal, welcher Herkunft, ist es genauso. Es gibt Gute, und dann gibt es Berliner, die jenseits von Gut und Böse sind.
Der Karl-Marx-Straße in Neukölln werde ich weiterhin die Treue halten, egal, was die anderen sagen. Sollen sie ruhig reden. Schließlich gibt sie mir meine tägliche Dosis Inspiration, und ein Besuch dort ist wirklich ein wenig wie Urlaub machen, wie mein Bekannter Peter einst sagte, der nicht müde wird, für diesen Kiez die Werbetrommel zu rühren.
VON BULLEN UND BÄREN
I ch erinnere mich gerne zurück an meine Schulzeit und vor allem an meine türkischstämmigen Freunde Ahmet, Bekir, Cem und Mehmet. Jeder von uns hatte mehr oder weniger große Träume. Wir waren Kinder und hatten vom wirklichen Leben keinen blassen Schimmer. Unsere Welt war bunt, was man von jenen nicht behaupten kann, die unser Leben bestimmten. Diesen Menschen begegneten wir nie. Die Ehrenurkunden beim Sportfest waren zwar vom Bundespräsidenten selbst signiert, zu Gesicht bekamen wir allerdings nicht einmal den Oberbürgermeister.
Bekir wollte Tennisprofi werden und eiferte täglich auf dem Schulhof seinem Idol Pat Cash nach. Cem träumte davon, eines Tages ein berühmter Fußballer zu werden, wie Maradona. Von der Frisur und der Körperform her ähnelte Cem der argentinischen Fußballlegende sehr. Merdin wollte nur steinreich werden. Ahmet hingegen strebte eine akademische Karriere an. Allesamt waren wir Kinder von Gastarbeitern, die in einem Migrantenviertel lebten und eine Schule besuchten mit einem überdurchschnittlich hohen Migrantenanteil. Nichts stand zwischen unserer Freundschaft. Die verschiedenen Herkünfte spielten keine Rolle. Das sollte sich auf dem Gymnasium ändern.
Heute, nach fast zwei Jahrzehnten, habe ich nur noch mit meinem alevitischen Freund Ahmet Kontakt. Von Bekir habe ich nach unserer Grundschulzeit nichts mehr gehört. Cem war ein talentierter Fußballer, der seine glänzende Karriere aber nicht auf dem Spielfeld hinlegte. Merdin bekleidet heute eine hohe Führungsposition in einem Versicherungsunternehmen und ist ein steinreicher Selfmademann. Deshalb steht Merdin rund um die Uhr unter Personenschutz, genau wie unsere Bundeskanzlerin.
Damals schon, als wir in den Schulpausen Fußball oder Glücksspiele im Weitwerfen von Fußballkarten veranstalteten, hielt Merdin sich von alldem fern. Bereits in sehr jungen Jahren kleidete er sich wie Gordon Gekko aus dem Film »Wall Street« und heckte beim Spaziergang über den Schulhof Businessstrategien aus, während wir unsere Zeit mit Spielchen vergeudeten. Wenn wir Merdin aufforderten mitzuspielen, antwortete er nur lapidar: »Geld schläft nicht! Wer seine Schweißtropfen zählt, wird nie sein Geld zählen!« Oder aber er sagte: »Bullen und Bären machen Geld. Schweine werden geschlachtet!«, wen auch immer er damit meinte. Inzwischen hat Merdin so viel Geld, dass er es gar nicht mehr zählen kann.
Ahmet arbeitet nach seinem Fachabitur erfolgreich in der Holz- und Baustoffbranche. Ich hingegen zählte meine Schweißtropfen auf sämtlichen Sportplätzen Krefelds, während mein Vater, die chinesische Mauer, auf dem Fahrrad mit einem Bambusstock hinter mir herfuhr, um mich zu motivieren, wie er zu sagen pflegte. Während ich vor ihm hertrabte und mehr Nacken- als Gliederschmerzen hatte, um nicht den Bambusstock an meinem Po zu spüren, träumte ich von deutschen Meisterschaften mit den Krefeld Pinguinen.
Meine anderen türkischen Freunde Tarek, Süleyman und Sedat – intelligente Menschen, die aber selten ihre Hausaufgaben machten – gaben mir einmal den Rat: »Martin, merk dir eins fürs Leben: Wer viel
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