Ohne Fleiß kein Reis: Wie ich ein guter Deutscher wurde (German Edition)
der vierten Klasse eine Empfehlung für das Gymnasium bekamen. Doch es kam dort zu einem Zwischenfall, der sein Leben um 180 Grad wendete. Ein einheimischer deutscher Klassenkamerad provozierte ihn mit Rufen wie »Knoblauchfresser!« und »Kümmeltürke!«. Mustafa Josef Maria platzte der Kragen. Er sprang den Klassenkameraden an. Der fiel, so sagte er, so unglücklich zu Boden, dass sein rechtes Bein zertrümmert wurde. Eine Lehrerkonferenz sollte schließlich über Mustafa Josef Marias akademische Zukunft richten. Die anwesenden Lehrerinnen und Lehrer votierten einstimmig gegen Mustafa Josef Marias Verbleib auf ihrem Gymnasium. Nachdem Mustafas Vater dem einheimischen Schüler eine Entschädigung gezahlt haben soll, entschied er, Mustafa Josef Maria zur Disziplinierung in die Türkei zu schicken. Dort ging er dann fortan zur Schule, beendete seine Highschool und wollte schließlich zurück nach Deutschland zur Familie. Er kämpfte sich durch. Seine Jugend verbrachte Mustafa Josef Maria in der Nähe der zyprischen Grenze.
Als Erwachsener kehrte Mustafa Josef Maria schließlich nach Deutschland zurück. Doch mit offenen Armen wurde Mustafa Josef Maria in seiner alten und neuen Heimat nicht empfangen. Seine schulische Ausbildung in der Türkei war in Deutschland nichts wert. Er wurde Atheist und kehrte dem Koran den Rücken. Mustafa Josef Maria staute seinen Hass und seine Wut auf. Er trainierte seinen Körper zu einem Muskelpaket und war zu allem bereit. Das alles erzählte mir Mustafa Josef Maria am Krefelder Bahnhof. Dann zückte er seinen deutschen Führerschein und zeigte mir das Foto darauf. Seine gewellten Haare trug er bis zur Schulter. Sein Blick war grimmig der Kamera zugewandt. »Damals wog ich noch 120 Kilo und trug immer zwei Stöcke bei mir!«, erzählte Mustafa Josef Maria. »Vor allem auf die Neonazis hatte ich es abgesehen!«, fügte er hinzu.
Ich fragte Mustafa Josef Maria, was er von der ganzen Integrationsdebatte halte.
Daraufhin deutete er auf seine Halbglatze. »Siehst Du das?«
»Ja!«, erwiderte ich.
»Das passiert, wenn man sich in Sachen hineinsteigert!«, sagte Mustafa Josef Maria. »In die ganze Multikultishow darf man sich nicht hineinsteigern, weil es einen auffrisst und man dabei seine Haare verliert. Ich habe aufgegeben, über die Integration hier in Deutschland nachzudenken. Es bringt eh nichts! Beim Sexshop bekommt man zumindest eine Multivideoshow geboten. Da kommt man dann wenigstens auf seine Kosten!«
Dann wünschte Mustafa Josef Maria mir in meinem Vorhaben, mich für gelungene Integration zu engagieren, Glück, Gottes Segen und vor allem keinen Haarausfall. Seit er nicht mehr darüber nachdenke, was bei der Integration von Migranten in die deutsche Gesellschaft falschlaufe, lebe er viel besser, schlafe ruhiger, und neuerdings werde auch sein Haarwachstum angeregt.
Später erzählte mir Ahmet, dass Mustafa Josef Maria als Pförtner für eine kommunale Behörde arbeite. Die Sätze »Sie können rein!« oder »Sie kommen nicht rein!« gehören zu seinem alltäglichen Sprachgebrauch. Die Macht zu haben, wer in das Gebäude reinkommt und wer nicht, befriedige ihn und damit bekämpfe er seine traumatischen Erlebnisse, weil er sehr häufig von einheimischen Türstehern vieler Diskotheken abgewiesen wurde. Rache ist süß.
KEINE POLITIK
I n meiner Kindheit war Politik nie ein Gesprächsthema. Zu sehr waren wir Kinder in Vaters Diktum »Ora et labora« eingebunden, das wir blind befolgten. Die Generation meiner Eltern hatte keine gute Erfahrung mit der Politik gemacht. Erst wurde das Land von den Japanern »angegliedert«, wie mein japanischer Freund Takayuki zu sagen pflegt. Dann tobte der Bruderkrieg zwischen Nord- und Südkorea. Das Land wurde geteilt. Es folgten Diktaturen, und Pro-Demokratie-Sympathisanten wurden mundtot gemacht. Im Ganzen brachte die Politik nichts als Armut, Leid, Teilung und Tod mit sich. Im Jahr 1987 kam es zu einer Verfassungsänderung. Der Präsident wurde wieder direkt vom koreanischen Volk gewählt. Aber zu diesem Zeitpunkt waren Mutter und Vater schon fast zwei Jahrzehnte in Deutschland.
Als koreanische Staatsbürger waren Mutter und Vater anfangs von politischen Entscheidungsprozessen in Deutschland ausgeschlossen. Das änderte sich erst mit meiner Berufung in die deutsche Junioren-Nationalmannschaft. Von heute auf morgen wurden wir naturalisiert. Es muss ein emotionaler Moment gewesen sein für Mutter und Vater, als ihre koreanischen Reisepässe
Weitere Kostenlose Bücher