Ohne Fleiß kein Reis: Wie ich ein guter Deutscher wurde (German Edition)
die sich von wohlmeinenden Freunden und der negativen Berichterstattung nicht einschüchtern ließ, ging trotzdem ins Columbiabad, kam heil wieder und fasste ihren dortigen Besuch mit einem werbereifen Spruch zusammen: »Columbiabad ist fast wie Disneyland!«
Für manche ist der Kiez auch nur das Tor zur Welt. Andere wiederum bezeichnen ihn abwertend als deutsche Bronx. Aber wenn man bedenkt, dass Persönlichkeiten wie Al Pacino, Yehudi Menuhin, Calvin Klein oder Jennifer Lopez aus der Bronx stammen, kann man das nur als Kompliment auffassen.
»Neukölln ist wie Urlaub machen!«, sagte mein einheimischer Bekannter Peter, der mir versicherte, dort freiwillig zu leben und dabei sehr glücklich zu sein. Reisebüros machen hier wahrlich nicht das Geschäft ihres Lebens. Ebenso wenig wie Fotostudios, die Bewerbungsfotos trotz Dumping-Preisen mit wenig Erfolg an den Mann bringen. Haute-Couture und Schlipsträger sind Mangelware. Schließlich machen Kleider nicht automatisch gute Menschen, so wie ein Kirchgang keinen guten Christen ausmacht. Die Einzigen, die hier von Montag bis Samstag einen Anzug tragen, stehen an den Eingängen schwedischer Klamottenhersteller oder von Drogeriemärkten. Der Bezirk braucht kein Glamour und keinen Catwalk. Wozu auch? Der Kiez ist eine 24-hours-Vernissage. Die Einwohner sind nicht selten selbst politische Statements und lebende Kunstwerke, mit Hang zum Expressionistischen und Surrealistischen. Nur am Ersten oder am Ende eines Monats stellt man seinen Wecker, steht früh auf, wirft sich in Schale und geht zum Volksfest bei der nahegelegenen Bank, wo sich schon der halbe Kiez in einer Reihe vor dem Geldautomaten eingefunden hat.
Zu Unrecht hat man den Kiez schlechtgeredet, ihn als letzte Absteige gescheiterter Existenzen und Halbstarker, als Heimat krimineller ausländischer Jugendgangs und als Slum beschimpft, so dass sich nicht einmal mehr die Mücken dorthin trauen. In Neukölln wurde ich nie von irgendwelchen Halbstarken »abgezogen«. Nur ab und an treffe ich die Original-Gangsters im Supermarkt, die Alt-Oma-Trolleys hinter sich herziehen und dabei nicht gerade den Eindruck erwecken, irgendjemanden abziehen zu können. Arabisch- und türkischstämmigen Intensivtätern bin ich bisher noch nie begegnet, und nie haben minderjährige palästinensische Drogendealer versucht, mir Rauschgift anzudrehen.
»Dann warst du an den falschen Plätzen!«, entgegnete ein Einheimischer, als ich ihm erklärte, dass ich mich in Neukölln sicher fühle.
Vielleicht liegt es an Vaters alter Sportjacke aus den Siebzigern, die ich immer dann trage, wenn ich in Neukölln bin, und die nicht wirklich dazu einlädt, mich abzuziehen. Denn auf der Brustseite ist die Jacke gut sichtbar mit einem Taekwondo-Weltverband-Aufnäher versehen. Für Dumme, die nicht wissen, was Taekwondo ist, demonstrieren zwei Figuren im Aufnäher die »Yop-Chagi«-Kampfstellung. Auf der Rückseite prangt in großen Lettern TAEKWONDO. Darunter ist ein lauernder Tiger zu sehen, der zum Sprung ansetzt, um seine Beute anzugreifen. Entweder sind die Neuköllner tolerante Menschen – oder aber sie verfügen über einen gesunden Menschenverstand.
In Neukölln darf ich das sein, was ich bin, ohne erst nach der Erlaubnis zu fragen, ob ich das darf. Ich bin den Menschen dort keinerlei Rechenschaft schuldig darüber, wie ich in dieses Land kam und was ich hier tue. Die zunehmende Überfremdung ist vielen einheimischen Deutschen ein Dorn im Auge. Spaziergänge im Kiez werden schon mal als Exkursion oder wilde Safari bezeichnet. Die Angst kursiert, von dieser Lawine der Vielfalt überrollt zu werden. Es ist eine menschliche Eigenschaft, sich mit seinesgleichen zusammenzutun und unter seinesgleichen zu verkehren. Neukölln ist Hip-Hop, nicht zuletzt wegen des schicken Reuterkiezes, der sich, wie mein Freund Yalin, Anlieger der Sonnenallee, sagt, »auf den Weg macht wie der Prenzlauer Berg«. Schon längst hat dort der Prozess der Gentrifizierung durch Yuppies, Künstler und Studenten eingesetzt, die die Kreativität und den Farbenreichtum des Kiezes aussaugen.
Als die Republik im kollektiven Jubeltaumel das sechzigjährige Bestehen des Grundgesetzes feierte, war ich in Neukölln. Ich wollte meine Sehnsucht nach dem Seouler Nachtleben stillen. Am U-Bahnhof Hermannplatz gewann eines der Plakate meine volle Aufmerksamkeit, an denen ich sonst gleichgültig vorbeilaufe. Darauf war ein mahnender schwarzer Zeigefinger zu sehen, über dem in fetter
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