Ohne Fleiß kein Reis: Wie ich ein guter Deutscher wurde (German Edition)
beziehungsweise Kanada so an, wie sie in Seoul angekommen waren, einsam und mit leichtem Gepäck.
GRENZGÄNGER UND BERLIN-BERLINER
D ie Original-Berliner sterben aus!«, erklärte mir meine Friseurin, eine Berlinerin aus Lichtenberg, mit großer Besorgnis.
»Da sagst du etwas. Als deutsch-koreanischer Mann kann ich das gut nachvollziehen. Auch wir sind ein Auslaufmodell, wenn wir nicht schnellstmöglich Entwicklungshilfe von der weiblichen Bevölkerung bekommen«, erwiderte ich und betonte dabei, dass ich aus eigener Erfahrung spreche.
Das Verhältnis zwischen meiner Friseurin Yvonne und mir war anfangs alles andere als vertraut. Ein eiserner Vorhang trennte uns. Die zwischenmenschliche Atmosphäre war bestimmt von eisiger Leere, gar Abneigung, so wie im kalten Krieg zwischen der Sowjetunion und Amerika. Ich hatte Verständnis, denn trotz meiner Gier, mit allen gut Freund zu sein, ist es schwer, diese zu befriedigen. Doch Mutter mit ihrer langjährigen Erfahrung als Krankenschwester brachte mir früh bei, dass sich Menschen ändern können, im positiven Sinne, wenn man nur auf sie eingeht und eine gewisse Zeit mit ihnen verbringt. Für Mutter gab es nichts Negatives im Leben. Manche würden dies als Zweckoptimismus bezeichnen, doch zutreffender wäre Lebensoptimismus. Als Zweckoptimistin wäre Mutter nie nach Deutschland ausgewandert.
Eines Tages beschloss ich, die Grenze, die zwischen meiner Friseurin und mir bestand, zu überschreiten. Ich sagte ihr, dass das Leben kurz sei, man Menschen Möglichkeiten geben müsse, um sich kennenzulernen, sich dadurch eventuell Freundschaften fürs Leben ergäben oder aber auch Feindschaften, zumindest aber hätte man Gewissheit, ob einem die Person liege oder nicht. Die Kraft der Worte wirkte Wunder. Ihre Grenzen öffneten sich, sie rollte den Stacheldrahtzaun ein, und das Redestillstandsabkommen wurde mit sofortiger Wirkung für nichtig erklärt. Mittlerweile sind wir zu einer Art Schicksalsgemeinschaft zusammengewachsen. Sie schneidet mir die Haare, und ich erzähle ihr aus meinem spannenden deutsch-koreanischen Leben in Berlin.
Ungeniert sagte ich zu Yvonne, dass die Lösung des Problems so einfach wäre, wenn sich die Berlin-Berliner zur Förderung der eigenen Bevölkerungsgruppe zusammenschließen würden. Yvonne kicherte und sprach irgendetwas von Niveau, von Hartz-IV und endlich wegkommen vom Proletarismus.
»Ick brauch ’n richtijen Mann, keene uffjewärmte Karteileiche«, sagte Yvonne. Berlin-Berliner haben eben Starallüren, und Schuld daran tragen die privaten Fernsehsender, wo sie in Realitysoaps wie »Raus aus den Schulden«, »Frauentausch«, »Teenager außer Kontrolle« oder den täglichen Talkshows die Hauptrolle spielen. Zumindest bei den privaten Sendern ist der Berliner Slang nicht fremd. Er ist dort zuhause. Noch sind Oscars, Cannes, Hollywood, Bollywood und Nollywood weit entfernt. Doch mit jeder weiteren Sendung rückt man diesem Ziel ein Stück näher, und schließlich hat jeder Holly- oder Bollywoodstar einmal klein angefangen.
Die Berliner sind auch äußerst begnadete Verkäufer, und dabei kommt ihnen ihr Herz, das ihnen der liebe Gott auf der Zunge hat wachsen lassen, zugute. Egal, in welchem Kiez man unterwegs ist, sie werden nicht müde, ihre Kulturgüter an die zugewanderten Migranten aus Köln oder Tübingen zu verkaufen, wie etwa den Motz oder den Straßenfeger. Da ist es egal, dass 164.000 Berliner Analphabeten sind und jeder 15. Bürger über 15 Jahre nicht lesen und schreiben kann. Manche haben ihren Hund sogar so dressiert, dass er die Zeitung im Maul präsentiert, dabei den U-Bahn-Waggon auf- und abgeht und auf Kommando sitzen bleibt. Als gemeinnützige Ich-AGs nehmen sie auch gerne Spenden an und buhlen mit den ausländischen Musikern um die Gunst der Zuhörer. Sie sind sich selbst die größten Kritiker und Förderer. So sagte kürzlich ein Berlin-Berliner zu einem landsmännischen Musiker: »Kof dir eine Geige! Mit dem Trommeln, dit bringt nix!«
Manche Berlin-Berliner gehen auch gerne auf Dienstreise. Im Anzug als Geschäftsmann oder leger als Tourist gekleidet sind sie dann und wann mit ihren Reisetrolleys an den Flughäfen Schönefeld und Tegel anzutreffen. Einchecken und boarden tun sie aber nie. Ihre Reise führt von den Mülleimern zu den Toiletten der Terminals A bis Z.
Berlin, Berlin gibt keine Versprechungen, und Berlin-Berliner halten ihre Versprechen. Man kriegt das, was man verdient. Berlin-Berliner sind Menschen wie
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