Ohne Gnade
leise.
Er ließ das Feuerzeug fallen, nahm ihr die Zigarette aus dem Mund und zerdrückte sie im Aschenbecher.
»Eine lange Zeit«, sagte er heiser. »Eine verdammt lange Zeit war das. Ich warne dich.«
Ihre Arme legten sich um seinen Hals. Als sich ihre Lippen trafen, knöpfte er den Mantel ganz auf. Er zitterte wie ein kleiner Junge, der zum erstenmal mit einem Mädchen zu tun hat. Er wunderte sich ein bißchen, auch darüber, daß es plötzlich dunkler zu werden schien.
Sie ließ sich zurückfallen und zog ihn an sich, aber er schien die Kontrolle über seinen Körper verloren zu haben. Ohne klaren Grund lag er plötzlich am Boden, sie saß auf dem Bettrand und schaute zu ihm hinunter, und ihre Beine waren das Schönste, was er je gesehen hatte.
Die Zimmertür ging plötzlich auf, und Donner kam herein. Er lachte, aber sein Ausdruck verriet noch etwas anderes, und als er den Mund aufmachte, kam kein Ton heraus. Er ging um das Bett herum. Garvald versuchte sich aufzurichten, aber es war zu spät. Ein Stiefel traf seine Schläfe. Der Aufschrei des Mädchens war das letzte, was er hörte, bevor er das Bewußtsein verlor.
13
Nick zündete sich eine Zigarette an, setzte sich auf die Tischkante und betrachtete sie. Nach einer Weile leerte Wilma ihr Glas und schauderte. Sie sah mit großen, tränenumflorten Augen zu ihm auf.
»Ich sehe sicher schrecklich aus. Kann ich noch einen haben?«
»Ist ja Ihr Gin.«
Er griff nach der Flasche und füllte ihr Glas zur Hälfte.
»Es muß ziemlich schlecht stehen, wenn man diesen Ausweg sucht.«
Sie kippte den Gin auf einmal hinunter, schnitt eine Grimasse und griff wieder nach der Flasche.
»Ich dachte, Sie sind mein Mann.«
»Sie müssen offenbar sehr viel von ihm halten.«
»Ich würde ihn nicht abschneiden, wenn er sich aufgehängt hätte.« Sie lachte rauh. »Ich will Ihnen sagen, was mein Mann für einer ist, Mister. Ich erzähle Ihnen alles, was man über Sammy Rosco wissen muß. Er ist der letzte Dreck. Als er mich in Hamburg 1945 von der Straße holte und mich heiratete, hielt ich das für ein Wunder. Damals glaubte ich noch an so was. Ich war erst fünfzehn, gab mich aber für älter aus.«
»Was passierte?«
»Wir kamen hierher, als er entlassen wurde. Hierher.« Sie schaute sich angeekelt im Zimmer um. »Die Flitterwochen dauerten so lange, bis er seine Abfindung durchgebracht hatte, dann brachte er mir den ersten Mann ins Haus.«
»Und seitdem lebt er von Ihnen?«
»So ungefähr. Nur alle hereinspaziert, betrunken oder nüchtern, Schwarz oder Weiß. Ich habe nie ›nein‹ gesagt. Dafür sorgte Sammy schon. Als ich es einmal versuchte, schlug er mich bewußtlos. Ein herrliches Leben, wirklich.«
»Haben Sie nie versucht, von hier wegzukommen?«
»Und ob.« Sie leerte ihr Glas und fuhr sich mit der Hand über die Augen. »Hören Sie, ich muß zum Zug. Wer Ihnen meine Adresse gegeben hat, weiß ich nicht, aber ich bin nicht mehr in der Branche tätig.«
»Deswegen bin ich nicht gekommen.«
Sie hatte seit Mittag nichts mehr gegessen, und der Gin war ihr sofort in den Kopf gestiegen. Als sie zu ihm aufsah, mußte sie sich mit aller Kraft konzentrieren.
»Wer sind Sie?« Sie bekam es mit der Angst zu tun. »Sie sind doch kein Freund von Sammy, oder?«
»Bestimmt nicht«, sagte Nick. Er beschloß, ein Risiko auf sich zu nehmen. »Ich heiße Nick Miller und bin mit Ben Garvald befreundet.«
»Sie sind Bens Freund?« Sie starrte ihn verwirrt an. »Übrigens habe ich Sie schon mal gesehen«, sagte sie und fröstelte.
»Ausgeschlossen«, erwiderte Nick. »Ich bin ganz neu hier. Ich war mit Ben zusammen in Parkhurst und kam im vergangenen Oktober 'raus.«
»Sie haben ihn knapp verfehlt«, sagte sie. »Er war vorhin bei mir.«
»Ich sollte ihn gestern treffen, war aber verhindert. Wie ich höre, hat es Unannehmlichkeiten gegeben.«
»Sie warteten im Nebel auf ihn«, sagte sie und starrte in das leere Glas.
Nick füllte es schnell.
»Wer, Wilma?«
»Ach, irgendein Halunke, den Sammy kennt.« Sie begann zu lachen und trank. »Du lieber Gott, von Ben kann er den Kerlen nicht viel erzählt haben.«
»Er ist ein harter Bursche, sicher.«
»Er wird mit allen fertig.« Sie schaute gedankenverloren ins Leere. »Aber wenn es um Frauen geht.« Sie schüttelte trunken den Kopf. Die Tränen liefen ihr langsam über das Gesicht. Sie griff nach ihrer Handtasche. »Sehen Sie das?« Sie
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