Ohne jede Spur
und Geschäften umzuschauen, fiel mir auf, dass sich keine der Frauen mit mir unterhalten wollte. Warum? Weil ich nur die Standardausstattung hatte. Ich war, für alle ersichtlich, ein Neuling, wie der Austauschschüler einer Highschool, ein Außenseiter. Man muss sich erst einmal seine Sporen verdienen.»
D. D. taxierte ihn wieder mit skeptischem Blick. Miller hingegen zeigte sich interessiert. «Sie schlagen sich Ihre Nächte um die Ohren, um in einer computergenerierten Parallelwelt jemand anders zu sein?»
Jason zuckte mit den Achseln und steckte die Händein die Taschen. «Tja, peinlich, nicht wahr? So was gibt man als Erwachsener nicht gern zu, schon gar nicht der eigenen Frau gegenüber.»
«Wie treten Sie denn in Second Life auf?», wollte Miller wissen. «Reich, gut aussehend, erfolgreich? Oder vielleicht als kurvenreiche Blondine, die auf Biker steht?»
«Wenn Sie’s genau wissen wollen: Ich bin Schriftsteller und arbeite an einem Roman, von dem einiges autobiographisch sein könnte oder eben nicht. Ich mache ein Geheimnis um mich. Frauen mögen so etwas.»
«Den Geheimniskrämer geben Sie auch so ab», bemerkte D. D. trocken. «Dafür brauchen Sie keine Parallelwelt.»
«Und ob. Hören Sie, meine Frau geht arbeiten und kümmert sich dann um Ree, während ich für den Lokalteil des
Boston Daily
kleine Artikel zusammenschustere. Was meinen Sie, was meine Frau davon halten würde, wenn sie erführe, womit ich mir nachts die Zeit vertreibe. Glauben Sie mir, dafür hätte sie nicht viel Verständnis.»
«Also tun Sie es heimlich», sagte D. D.
«Ich mache es nicht zum Thema», entgegnete Jason.
«Ach ja? Und deshalb löschen Sie nach jeder Sitzung Ihre Browser-Chronik?»
Verdammt, Ethan und dieser Onkel hatten Sandra offenbar einiges beigebracht. «Ich beteilige mich an diesem Spiel aus beruflichem Interesse», erklärte Jason. Ihm fiel auf, dass ihm Lügen ebenso leicht über die Lippen gingen wie Maxwell Black. Hatte Sandra ihn deswegen geheiratet? Weil er sie an ihren Vater erinnerte?
«Sie haben meine Frage nicht beantwortet.»
«Ich lösche die Chronik, um meine Quellen zu schützen», erwiderte Jason. «Das zu tun lernt man in der Journalistenschule, im Kurs über ethische Fragen im Zeitalter der Computertechnik. Streng genommen dürfte ich eigentlich nur meinen Job-Laptop verwenden, aber der Familiencomputer ist einfach bequemer. Also nutze ich ihn für meine Online-Recherchen. Weil aber eben auch andere Zugriff darauf haben – nicht zuletzt meine Freunde und Helfer –, lösche ich in aller Regelmäßigkeit den Verlauf.»
«Sie lügen.» D. D. ließ sich ihre Frustration anmerken. Es schien, als fehlte nicht viel, und sie hätte auf irgendetwas eingedroschen. Wahrscheinlich auf ihn.
Er zuckte mit den Achseln und gab damit zu verstehen, dass er nichts mehr für sie tun konnte.
«Nennen Sie mir den Namen der Journalistenschule», sagte sie unvermittelt.
«Auf der ich war?»
«Wo Sie diesen Ethikkurs hatten.» Das Wort Ethik klang aus ihrem Mund wie eine Obszönität.
«Oh, das liegt schon Jahre zurück. Es war ein Online-Kurs.»
«Nennen Sie mir den Namen», drängte sie. «Selbst Online-Anbieter führen Buch.»
«Ich werde ihn gerne für Sie raussuchen.»
D. D. schüttelte bereits den Kopf. «Es gab keinen Kurs. Oder wenn es einen gab, ist er nicht von Jason Jones belegt worden, stimmt’s? Soweit wir wissen, gibt es diesen Jason Jones erst seit fünf Jahren. Wie haben Sie davor geheißen? Smith? Brown? Und was ich noch gerne wissenwürde – wenn Sie sich einen neuen Namen zulegen, wird dann auch Ihre Katze umgetauft?»
«Unser Kater ist erst drei Jahre alt», entgegnete Jason.
«Sie belügen uns nach Strich und Faden.» D. D. war aufgestanden und versuchte, ihn aus der Reserve zu locken, indem sie sich ihm bis auf wenige Zentimeter näherte. «Avatar, dass ich nicht lache. Sie haben nur ein zweites Leben, nämlich im Hier und Jetzt. Sie laufen vor irgendetwas davon. Irgendetwas. Und geben sich allergrößte Mühe, Ihre Spuren zu vertuschen. Stimmt’s? Aber Ihre Frau hat Lunte gerochen und Ethan ins Spiel gebracht, dem Sie es nun verdanken, dass sich die Landespolizei für Ihre Online-Eskapaden interessiert. Unangenehm für Sie, nicht wahr, Jason? So unangenehm, dass Ihre Frau und ihr ungeborenes Baby dafür sterben mussten?»
«Ist Sandy wirklich schwanger?», flüsterte er. Er wollte diese Frage eigentlich gar nicht gestellt haben, hoffte aber trotzdem
Weitere Kostenlose Bücher