Ohne jede Spur
einer alten Armeejacke. Die Frau lächelte breit und wissend wie über ein kostbares Geheimnis.
Er hatte dieses Lächeln geliebt. Genau wie ihr Lachen.
Obwohl sie nicht zur Familie gehörte, war sie lange Zeit die einzige Person gewesen, die ihm das Gefühl von Sicherheit hatte vermitteln können.
Das Foto wie einen Talisman an seine Brust gedrückt, knickte er plötzlich in den Knien ein und sank zu Boden. Er zitterte am ganzen Leib. Zuerst waren es nur die Hände gewesen, dann die Arme, der Oberkörper, bis schließlich auch die Schenkel zu schlottern anfingen, die Knie, die Fußgelenke, ja sogar Zehen.
Er weinte nicht. Er gab überhaupt keinen Laut von sich.
Doch es schüttelte ihn so sehr, dass er fürchtete, ihm könnten die Knochen in tausend Stücke zerspringen.
«Verdammt nochmal, Sandy», fluchte er und stützte den zitternden Kopf auf die zitternden Knie.
Dann fiel ihm ein, dass er sich, wenn es nicht schon zu spät war, um den Computer kümmern musste.
Zehn Minuten später klingelte das Telefon. Ihm war nicht danach zumute, mit irgendjemandem zu reden, doch dann dachte er törichterweise, es könnte vielleicht Sandy sein, die anrief … von irgendwoher, und so nahm er ab.
Es war nicht seine Frau. Stattdessen fragte eine männliche Stimme: «Allein zu Haus?»
«Wer sind Sie?»
«Ist Ihre Tochter bei Ihnen?»
Jason legte auf.
Kurz darauf klingelte es wieder. Auf dem Display stand dieselbe Nummer. Jason wartete, dass sich der Anrufbeantworter einschaltete. Dieselbe Stimme sagte: «Ich nehme an, Ihre Reaktion bedeutet ‹Ja›. Hinterhof, in fünf Minuten. Sie werden mit mir sprechen wollen.» Dann war die Verbindung abgebrochen.
«Leck mich», zischte Jason in die leere Küche. Dumm, so etwas zu sagen, aber es erleichterte ihn.
Er ging nach oben und schaute in Rees Zimmer. Sie war fast vollständig zugedeckt und schlief tief und fest. Unwillkürlich richtete sich sein Blick auf das Fußende des Bettes, wo sonst immer Mr Smith eingerollt lag. Die Stelle war leer, was Jason einen Stich versetzte.
«Verdammt nochmal, Sandy», murmelte er müde. Er nahm seinen Mantel vom Haken und ging in den Hinterhof.
Der Anrufer war jünger als erwartet. Zwei- oder dreiundzwanzig Jahre alt, ein hagerer junger Mann, der noch kein Fett angesetzt hatte und womöglich nie ansetzen würde.
Der Bursche war gerade über den Lattenzaun geklettert und setzte ein paar Schritte in den Hof. Mit seinen wippenden blonden Haaren und den langen schlaksigen Gliedmaßen bewegte er sich wie ein Golden-Retriever-Welpe. Als er Jason erblickte, blieb er stehen und wischte sich die Hände an den Jeans ab. Trotz der Märzkälte trug er nur ein weißes T-Shirt mit einem unkenntlichen Aufdruck in Schwarz. Zu frieren schien er nicht.
«Ähm, vor der Tür steht ein Cop. Schätze, das wissen Sie. Ich will nicht gesehen werden», sagte der junge Mann, als erkläre das sein seltsames Verhalten. Jason bemerkte, dass er ein grünes Gummiband am linken Handgelenk hatte und nervös daran herumfummelte.
«Wer sind Sie?»
«Ein Nachbar», antwortete er. «Fünf Häuser weiter unten. Mein Name ist Aidan Brewster. Wir sind uns noch nicht begegnet.»
Schnapp, schnapp, schnapp
machte das Gummi.
Jason sagte nichts.
«Ich, ähmmm, bin lieber für mich allein», fuhr er fort, und wieder schien er zu glauben, damit sei alles erklärt.
Jason sagte nichts.
«Ihre Frau wird vermisst.»
Schnapp, schnapp.
«Von wem wissen Sie das?»
Der junge Mann zuckte mit den Achseln. «Das musste mir niemand sagen. Die Cops suchen eine verschwundene Person weiblichen Geschlechts und fragen überall nach. Einer von ihnen hat vor Ihrer Tür Stellung bezogen, also ist klar, um wen es geht.» Er wollte wieder an seinem Gummiband herumzupfen, besann sich aber und ließ beide Arme an den Seiten herabhängen.
«Was wollen Sie?», fragte Jason.
«Haben Sie sie umgebracht?»
Jason sah ihm in die Augen. «Wie kommen Sie darauf, dass sie tot sein könnte?»
Wieder zuckte der Bursche mit den Achseln. «So ist es doch meistens. Eine Frau wird vermisst, Mutter von ein, zwei, drei Kindern. Suchtrupps durchkämmen die Nachbarschaft,die Medien schalten sich ein. Und dann, eine Woche oder drei Monate später, taucht die Leiche auf, am Ufer eines Sees, im Wald oder in der Gefriertruhe in der Garage. Sie haben nicht zufällig irgendwelche großen blauen Kunststofffässer?»
Jason schüttelte den Kopf.
«Eine Kettensäge? Eine Allesbrenner-Heizung?»
«Ich bin
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