Ohne jede Spur
sein.
«Eheprobleme?»
«Wir arbeiten im Schichtwechsel und sehen uns kaum, haben also nicht einmal die Möglichkeit, uns zu streiten.»
«Seitensprünge? Bei ihr, bei Ihnen, sowohl als auch?»
«Bei mir nicht», antwortete Jason.
«Hatte sie einen Lover?»
Jason zuckte mit den Achseln. «Das erfahren Ehemänner doch immer als Letzte, oder?»
«Glauben Sie, dass sie mit ihm durchgebrannt ist?»
«Sie würde Ree nie allein zurücklassen.»
«Sie hatte also eine Affäre, konnte sich aber ausrechnen, dass Sie sie nie mit der gemeinsamen Tochter wegziehen lassen würden.»
Jason wischte sich die Augen und empfand nichts als Erschöpfung. «Moment mal …»
«Reißen Sie sich zusammen, Mann», drängte der Bursche. «Sonst sitzen Sie heute Abend hinter Gittern.»
«Ich würde meiner Tochter nie etwas zuleide tun, und wenn sich meine Frau scheiden lassen wollte, wäre ich damit einverstanden.»
«Wirklich? Würden Sie dieses Haus aufgeben, eine so schöne Immobilie in Southie?»
«Geld ist für uns kein Thema.»
«Blödsinn. Geld ist immer ein Thema. Jetzt machen Sie einen schuldbewussten Eindruck.»
«Meine Frau ist die Mutter meiner Tochter», hörte Jason sich sagen. «Im Falle einer Trennung würde ich ihr die Mittel zukommen lassen, die nötig wären, um für unser Kind zu sorgen.»
«Frau, Kind, Frau, Kind. Wie reden Sie eigentlich von den beiden? Behaupten, sie so sehr zu lieben, dass Sie ihnen nur das Beste wünschen, bringen’s aber nicht einmal fertig, sie beim Namen zu nennen.»
«Hören Sie auf. Ich habe genug von Ihnen.»
«Haben Sie Ihre Frau getötet?»
«Verschwinden Sie. Lassen Sie mich allein.»
«Na schön, ich bin gleich weg. Ich habe acht Minuten mit Ihnen geredet und glaube jetzt zu wissen, dass Sie ganz schön Dreck am Stecken haben. Mit anderen Worten, ich habe nichts zu befürchten. Bis dann.»
Der Bursche ging auf den Zaun zu. Er wollte gerade drübersteigen, da wusste Jason plötzlich, was ihn seit dem Anruf irritierte.
«Sie wollten wissen, ob mein Kind zu Hause ist», rief er über den Hof. «Sie haben sich nach meinem Kind erkundigt.»
Der Nachbar hatte bereits ein Bein über den Zaun geschwungen. Jason rannte ihm nach.
«
Mistkerl!
Sie sind vorbestraft. Weswegen?»
Der junge Mann hielt einen Augenblick inne. Er sah jetzt nicht mehr aus wie ein Retriever-Welpe. Sein Ausdruck hatte sich verändert, sein Blick wirkte verschlagen und hart. «Sie ahnen es doch schon.»
«Von wegen Routinefragen. Sie sind ein vorbestrafter Triebtäter, stimmt’s? Gegen zwei werden die Cops vor Ihrer Tür stehen.»
«Ja, und gegen drei werden Sie verhaftet sein, Mr Jones. Ich habe Ihre Frau nicht umgebracht. Sie ist für meinen Geschmack ein bisschen zu alt –»
«Scheißkerl!»
«Übrigens, da wäre noch etwas, wovon Sie nichts wissen. Letzte Nacht fuhr ein Auto vor, und mir war, als hätte ich Ihre Frau darin verschwinden sehen.»
6. Kapitel
Mit acht Jahren habe ich mich das erste Mal verliebt. In eine Figur aus dem Fernsehen: Sonny Crockett, jenen Cop aus
Miami Vice
, der von Don Johnson gespielt wurde. Meine Mama fand die Serie bescheuert, also habe ich gewartet, bis sie von dem «Eistee», den sie nachmittags immer trank, eingeschlafen war, habe mir dann selbst eine Dose Dr. Pepper aufgemacht und nach Herzenslust alle Wiederholungen angesehen.
Sonny Crockett war stark und hatte die Schnauze voll von der Welt. Er war dieser taffe Typ, der alles schon mal gesehen und miterlebt hat, sich aber trotzdem aufrafft, um das Mädchen zu retten. Einen solchen Sonny Crockett wünschte ich mir auch. Ich wollte jemanden, der mich rettet.
Als ich mit dreizehn plötzlich Brüste bekam, gab es auf einmal jede Menge Jungs, die interessiert daran waren, mich zu retten. Anfangs dachte ich, warum nicht? Ich habe mich mal mit dem einen, mal mit dem anderen eingelassen und merkte dann, dass ich vor allem auf ältere Jungs mit Tattoos und üblen Manieren stand. Sie wollten Sex. Ich wollte, dass mich jemand in seinem Mustang
mitnimmt und mitten in der Nacht mit hundert Sachen und ausgeschalteten Scheinwerfern durch die Gegend brettert. Ich wollte meinen Namen hinausschreien und mir den Wind um die Ohren sausen lassen. Ich wollte wild und verwegen sein, jemand anderes, raus aus meiner Haut.
Ich stand bald in dem Ruf, richtig gut blasen zu können und noch verrückter zu sein als meine abgedrehte Ma. Jede Kleinstadt hat eine Mutter wie meine, und jede Kleinstadt hat ein Mädchen wie
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