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Ohne jede Spur

Ohne jede Spur

Titel: Ohne jede Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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anders behelfen können.
    Mein Mann lügt und sieht mir dabei in die Augen. Als Lügner ist Jason perfekt.
    Ich kannte ihn schon sechs Wochen, ehe mir klar wurde, dass hinter seiner beherrschten Fassade ein Abgrund lauert. Ich bemerkte es zuerst an kleinen Dingen. An einer sonderbaren Veränderung in seinem Tonfall, vor allem abends, wenn er müde war und sich nicht mehr so richtig unter Kontrolle hatte. Oder wenn er nachts aus dem Bett stieg unter dem Vorwand, fernsehen zu wollen. Morgens
stellte ich dann fest, dass noch der Sender einprogrammiert war, den ich am Abend zuvor gesehen hatte, ein Hausfrauensender, für den Jason absolut nichts übrighat.
    Manchmal habe ich versucht, die Wahrheit aus ihm herauszukitzeln: «Hey, du hast gerade ‹Coke› gesagt. Ich dachte, das sagt man nur in den Südstaaten.»
    «Muss ich mir wohl von dir angewöhnt haben», hatte er darauf geantwortet, aber ich sah ihm an, wie sehr er plötzlich auf der Hut war.
    Manchmal war ich auch direkter. «Erzähl mir von deiner Familie. Wo sind deine Eltern, deine Geschwister?»
    Er wich dann aus. «Das ist doch egal. Ich habe jetzt dich und Clarissa. Ihr seid meine Familie, und das zählt.»
    Eines Nachts   – Ree war fünf Monate alt und schlief – fühlte ich mich ganz kribbelig, so wie sich ein neunzehnjähriges Mädchen manchmal fühlt, wenn es einem gutaussehenden, aber geheimnisvollen Mann gegenübersitzt, seine Hände betrachtet und denkt, wie zärtlich diese Hände mit einem Säugling umgehen können. Wär’s nicht auch angebracht, dass er mich damit liebkost, fragte ich mich und stellte ihn zur Rede.
    «Wahrheit oder Pflicht», sagte ich.
    Schließlich blickte er von dem Taschenbuch auf, in dem er gerade las. «Wie bitte?»
    «Wahrheit oder Pflicht. Das Spiel kennst du doch. Hast du bestimmt selbst gespielt, als du noch Teenager warst.»
    Er starrte mich aus seinen dunklen Augen an, die wie immer unergründlich waren. «Ich bin kein Teenager mehr.»
    «Ich aber.»
    Jetzt schien er mich endlich zu beachten. Er klappte das Buch zu und legte es weg. «Was willst du, Sandra?»
    «Wahrheit oder Pflicht. Entscheide dich. So schwer ist das nicht. Wahrheit oder Pflicht.» Ich rückte näher an ihn heran. Ich war, nachdem ich Ree zu Bett gebracht hatte, unter die Dusche gesprungen und hatte mich von Kopf bis Fuß mit einer nach Orangen duftenden Lotion eingerieben. Ich merkte, dass ihm auffiel, wie frisch und angenehm ich duftete, denn seine Nasenflügel zuckten, wenn auch kaum merklich. Dann lehnte er sich zurück, von mir weg.
    «Sandra   …»
    «Spiel mit mir, Jason. Ich bin deine Frau. Das ist nicht zu viel verlangt.»
    Er war drauf und dran. Ich sah es an der Art, wie er sich kerzengerade aufrichtete und die Schultern straffte. Er hatte mich seit Monaten nicht berührt. Ihm musste klar gewesen sein, dass es so nicht weitergehen kann zwischen uns. Es konnte sich nicht alles ausschließlich um Ree drehen.
    «Pflicht», sagte er schließlich.
    «Küss mich», verlangte ich. «Eine Minute lang.»
    Er zögerte. Ich dachte, er würde kneifen, und machte mich auf seine Ablehnung gefasst. Aber dann seufzte er, wie immer verhalten, beugte sich vor und drückte mir seine gespitzten Lippen auf den Mund.
    Er würde züchtig bleiben, so kannte ich ihn und erwartete nichts anderes. Und ich wusste, dass er zumachen würde, wenn ich versuchte, mehr von ihm zu fordern. Jason
wurde nie laut. Er würde nie auch nur die Hand heben, wenn er wütend war. Stattdessen zog er sich einfach zurück, an einen Ort in seinem Inneren, wo ihn nichts mehr zu erreichen schien. In solchen Momenten hätte ich mich genauso gut mit einer Wand unterhalten können.
    Mein Mann hat mich respektiert. Er war mir gegenüber immer freundlich, überaus fürsorglich. Er hat mir jeden Wunsch von den Lippen abgelesen.
    Außer im Bett. Wir waren inzwischen fast ein Jahr zusammen, doch er hatte mich noch kein einziges Mal mit der Hand berührt. Es war zum Verrücktwerden.
    Ich öffnete meinen Mund nicht, griff nicht nach seinen Schultern, fuhr nicht mit den Händen durch sein dichtes dunkles Haar. Ich tat nichts von dem, worauf ich Lust hatte, ließ beide Arme hängen und hielt einfach nur die Lippen hin.
    Er schenkte mir Freundlichkeit, die ich mit meinem warmen Atem, über seine geschlossenen Lippen gehaucht, erwiderte. Er schenkte mir Zärtlichkeit, für die ich mich von einem bis zum anderen Mundwinkel bedankte. Er schenkte mir Respekt, und darum ließ ich die Grenzen gelten,

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